23.01.2024

Briefe



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ID: 13014
Geschrieben am: Freitag 01.09.1893
 

Interlaken d. 1 Septbr 1893 Hôtel Ober.
Liebe Marie,
so lange weiß ich nichts von Ihnen, nicht wo Sie sind, wie Sie leben! ich muß meinem Herzen Genüge thuen, indem ich Sie bitte, lassen Sie uns von sich wissen. Wir sprechen oft von Ihnen, die Kinder bitten mich Ihnen dies zu sagen, und ihre herzlichsten Grüße.
Uns geht es soweit gut, als wir den schönen August-Monat hier sehr genossen haben; Eugenie hält sich ganz gut, nur ich fühle alle meine Leiden sich steigern, das ist traurig, sehr niederschlagend! – Ich denke, wir bleiben hier noch bis zum 15ten Septbr.; und gehen dann noch für eine Woche nach Baden-Baden, wohin es uns immer wieder zieht.
Ich möchte aber, Sie sähen einmal unseren Balkon, dessen eine Seite an einen wunderbaren Nußbaum gränzt [vor uns die Jungfrau, und herrliche Matten]. Ich ließe so gern ein kleines Bildchen davon machen, aber, sie malen hier doch gar zu schlecht! ich hätte so gern Eugenie damit überrascht, die den Wunsch schon mehrmals ausgesprochen, aber, wie gesagt, lieber nicht, als schlecht. Wir wollen nun aber doch f. d. nächste Jahr, wills Gott, daß ich noch rüstig genug bin, hierher zu reisen, eine Etage in einem kleinen Privat-Hause nehmen, und, selbst kochen. Das ist doch für uns Alle nöthig, denn, bald kann ich hier schon nichts mehr essen. Es ist auch schrecklich so ein Haus voll Menschen bis unter’s Dach, jeden Tag fast Andere! – Wie wird Einem all Dieses im Alter so lästig – welche Gedanken beschwört solch ein Getriebe herauf! dazu unsere prosaische Zeit, die sich Einem hier überall jetzt aufdrängt. Ueberall Eisenbahnen, wo man sich sonst Alles durch Anstrengung erkämpfte, dann aber auch den höchsten Genuß in der großartigen Natur genoß! überall zwischen die Gletscher hinein die großen Hôtels, die Einem geradezu die Freude verderben. Es ist sehr traurig! Ich will schließen, denn zu meinem Schrecken sehe ich, daß mein ganzer Brief voll Lamento ist! –
Im Octbr. sind Sie doch wieder in Büdesheim? wie herzlich freuen wir uns dann Sie zu sehen! – Eugenie bleibt bis zum 9ten Octbr. noch bei uns, dann müssen wir das theure Kind wieder ziehen lassen.
Möge Ihnen der Sommer rechte Erholung von den Aufregungen des Frühjahrs gebracht haben, und Ihr lieber Mann gern wieder nach Berlin zurückkehren, da es nun doch einmal so ist! aber, er hat es ja gewünscht, und, natürlich Sie mit ihm. Ich bin sehr begierig zu hören, wie Sie Ihre Einrichtungen im Winter machen werden? wenn wir Sie nur nicht gar so lange entbehren! – Ich mag mir das traute Büdesheim gar nicht leer denken! –
Doch genug, ich drücke Ihnen, liebste Marie, in wärmster Freundschaft die Hand und bin mit herzlichsten Grüßen an Sie und Ihren lieben Mann
Ihre
getreue
Clara Schumann.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Interlaken
  Empfänger: Oriola, Marie von, geb. Christ, verh. Berna (2699)
  Empfangsort:
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 12
Briefwechsel Clara Schumanns mit Landgräfin Anna von Hessen, Marie von Oriola und anderen Angehörigen deutscher Adelshäuser / Editionsleitung: Thomas Synofzik, Michael Heinemann / Herausgeber: Annegret Rosenmüller / Köln: Verlag Dohr / Erschienen: 2015
ISBN: 978-3-86846-023-0
632ff.

  Standort/Quelle:*) D-DÜhh, s: 67.6395
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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