Frankfurt a/M
d. 3 Octbr. 93
Lieber Herr Goldschmidt, ich möchte meine Eugenie nicht wieder nach London gehen lassen, ohne ihr einen directen Gruß an Sie in diesen Zeilen mitzugeben. Vor allem danke ich Ihnen von Herzen für die Freundlichkeit, die Sie meinem theuren Kinde im |2| vorigen Frühjahr erwiesen haben, Sie haben mich damit ganz besonders erfreut. Wenn ich sie Ihnen im vorigen Winter nicht empfahl, so war der Grund nur der, daß sie mit schwacher Gesundheit im vorigen Octbr. nach London ging, und wir erst einen Versuch machen wollten, ob sie die Anstrengungen des Unterrichtes und des Londoner Leben ertragen würde. Gott sei Dank bekommt ihr das Clima und wir finden sie viel kräftiger, als früher. |3| Nun kann ich es auch wagen sie mit mehr Leuten, als bisher in geselligen Verkehr zu bringen, freilich sorglich für ihre Gesundheit muß sie doch immer sein. Ihre Resultate vom vorigen Jahr waren recht erfreulicher Art, und hoffe ich, es wird ihr auch im nächsten Jahr nicht fehlen. Wir geben sie schwer von uns, sie war uns viel mit ihren schönen Gaben und feinem Sinne, dazu einem durch und durch ernstem Wesen, |4| und nur der Wunsch, eine sie befriedigende Thätigkeit und Selbständigkeit, ließ mich das Mutterherz beschwichtigen, die Trennung ertragen. Darf ich den Muth fassen, nach Ihrem so freundlichen Entgegenkommen, und Ihren fernerm Wohlwollen Eugenie empfehlen? Wie schwer ist es für eine Dame sich in London den Weg zu bahnen, wie nöthig ist solcher ein männlicher Freund, der ihr mit Rath u. That in nöthigen Fällen beisteht! |5| Wie sehr erfreut und beruhigt würde ich mich fühlen, wollten Sie, lieber Herr Goldschmidt, ihr ein solcher Freund sein! Darf sie in
vorkommenden Falle, daß sie eines offenen Rathes bedürfte, sich an Sie wenden? Sehr bedauere ich immer, daß ich sie ihrer schwachen Gesundheit halber nicht zur Virtuosin ausbilden konnte, |6| denn die Gaben hatte sie. Sie darf auch jetzt noch nicht viel üben, kann es auch nicht regelmäßig, daher eben nur leichtere Sachen spielen, ist aber vollkommen befähigt in der guten alten Schule zu unterrichten, und, da sie das feinste Verständnis hat, auch Solche, die sich ausbilden wollen. Könnte ich doch |7| noch einmal nach London, aber die Anstrengungen kann ich nicht mehr ertragen, Gott sei Dank, bin ich aber frisch beim Musiciren und unterrichten.
Ich hoffe es geht Ihnen und den lieben Ihrigen gut?
Mit herzlichem Gruße bin ich, lieber Herr Goldschmidt
Ihre ergb
Clara Schumann.