23.01.2024

Briefe



Rückwärts
	
ID: 13107
Geschrieben am: Montag 02.07.1894
 

Interlaken d. 2 Juli 94. Châlet Sterchi.

Meine theuere Emma,

fast einen Monat blieb ich Dir meinen Dank für Deine lieben Zeilen schuldig! Du Gute, wieder hattest Du meines Roberts und meiner gedacht! Du und die liebe blinde Freundin, Ihr seyd die Getreuen, die nimmer fehlen an diesem Tage! –
Wir hatten in dieser Zeit viel Troubel, erst einen fast 4 wöchentlichen Besuch meiner allerältesten Freundin Emilie List, dann wurde gerüstet zur Reise hierher, wo wir uns häuslich diesmal eingerichtet haben, selbst wirthschaften, einen Balkon bewohnen, kann ich sagen, denn wir sind immer darauf, außerdem ein hübsches kleines Logie haben, von wo aus (auch vom Balkon) wir die Jungfrau immer vor uns haben. Jetzt nun schon seit 11 Tagen jeden Tag prangt sie uns Morgens bei’m Oeffnen der Fenster entgegen. Meine Emma, könnte ich Dir den Genuß auch schaffen! und doch, mit einem elenden Körper, wie auch ich ihn habe, genießt man Alles nur halb, sagt sich immer, „wie wollte ich genießen, wäre ich gesund.“ Ach, es ist schwer alt werden meine Emma! immer frage ich mich, wozu? und doch möchte ich nicht von meiner Marie fort, wer liebt sie noch, wenn ich fort bin? ach, und sie verdient so viel Liebe, lebt sie doch nur für Andere! für mich zuerst. Du bist nun wieder ohne Deine Louise, wie hart ist das! Gott sei Dank, scheint Dir die Nichte, von der Du mir schriebst, anhänglich zu sein, und so sorgt der Himmel immer für den Menschen, wo er es kaum erwartet. Was hast Du an den Augen, Theuerste? sind sie schwach, oder entzündet? gewiß gebrauchst Du dafür? – Auch ich genieße hier Waldluft, sitze eben auch in meinem Rollstuhl a. d. Rugen, und schreibe Dir, Dich an meine Seite wünschend! aber, sehen werden wir uns wohl nie mehr, wie sollten wir noch zueinander gelangen! Wir haben hier Julie mit uns, die aber in 3 Wochen von unserer theueren Eugenie abgelöst wird u. zu ihrer Mutter nach Gera geht. Eugenie bleibt dann 3 Monat mit uns, was immer eine große Freude für uns ist. Es geht ihr sehr gut in London, u. ihre Gesundheit befestigt sich, trotz vieler Arbeit (sie giebt meistens 5 Stunden täglich) mehr u. mehr. Wir haben auch den Ferdinand mit uns, und Marie studiert täglich mit ihm. Er ist sehr fleißig, überhaupt ein lieber Junge, aber noch sehr unentwickelt für sein Alter (18 Jahr), was wohl seinen Grund in der Umgebung hat, in der er die Entwicklungsjahre verlebt hat. Marie thut Alles, was sie kann, nachzuholen, es geht aber langsam – nun, man muß eben Geduld haben, wie im ganzen Leben! – Meine Augen sind auch nicht wie sonst, darum muß ich auch schließen, hab ja immer so viel zu schreiben.
Morgen mehr! –
Noch heute will ich diesen Brief absenden, wollte Dir nur noch erzählen, daß ich neulich Joachim beim Musikfest in Basel sah, wo er in einem Concert im Münster das Beethoven’sche Concert ganz verklärt gespielt haben soll – ich konnte es ja meines ewig dauernden Kopfleidens halber nicht hören, hatte aber doch den Gesammt-Eindruck der erleuchteten Kirche – wunderbar ist es anzusehn. Es war ein 3tägiges Fest, die hohe Messe v. Beethov. u. die Neunte u. A. Joachim fanden wir Alle sehr bekümmert aussehend! Seine Frau zieht nun wieder nach Berlin, u. hat eine Wohnung gemiethet, an der er täglich 4 mal vorüber muß. Die Josepha, die Malerin werden wollte, bereits 3 Jahre in München studiert hat, wird nun Schauspielerin – sie soll in Allem sehr der Mutter gleichen. Meine Emma ist denn keine Möglichkeit, daß Du Deine Enkel u Urenkel ’mal in Frankfurt besuchst? ach, welche Freude hätte ich Dich noch ’mal zu sehen! –
Marie mahnt, ich schreibe zu viel, so will ich denn wirklich schließen in freundschaftlichster Umarmung. Grüße, wer Dich umgiebt, Deinen lieben Gustav und die Nichte, die gewiß ein liebes Wesen ist, da sie Dir so sympathisch. Der Himmel sey mit Dir Du Gute, Liebe! – Frau Wach soll hier sein, ich hoffe sie bald zu sehen! Marie grüßt sehr <>herzlich. Ich denke, wir bleiben hier bis Mitte Septbr. Höre ich mal wieder von Dir?
Deine alte
Clara.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Interlaken
  Empfänger: Preußer, Emma (1204)
  Empfangsort:
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 15
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit den Familien Voigt, Preußer, Herzogenberg und anderen Korrespondenten in Leipzig / Editionsleitung: Thomas Synofzik, Michael Heinemann / Herausgeber: Annegret Rosenmüller, Ekaterina Smyka / Köln: Verlag Dohr / Erschienen: 2016
ISBN: 978-3-86846-026-1
355-358

  Standort/Quelle:*) D-B, s: N.Mus.ep. 1251
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



Wir verwenden Cookies, um Ihnen den bestmöglichen Service zu gewährleisten (Mehr Informationen).
Wenn Sie auf unserer Seite weitersurfen, stimmen Sie bitte der Cookie-Nutzung zu. Ich stimme zu.