Frankfurt a/M. 26. 11. 94.
Lieber Herr Engelmann,
Gern hätte ich früher Ihr liebes Schreiben beantwortet, vor allem gedankt, daß Sie, der so viel in Anspruch genommene, noch Zeit für mich finden; aber ich konnte nicht dazu kommen und so entschließe ich |2| mich denn heute zu diesem Diktat, da mein Arm mir noch immer zu schaffen macht.
Ja, es wäre reizend gewesen, hätten Sie sich mit Emma aufsetzen u. hierher dampfen können. Musik gab es Viele und Herrliches! Das Brahms-Concert im Museum war sehr schön. Über |3| Brahms’s Sonaten, die natürlich auch wieder des Interessantesten viel enthalten, könnte ich mir doch erst ein Urteil erlauben, wenn ich sie selbst studiert habe, denn mit meinem Kopfleiden bin ich nicht im Stande, complicierte Durchführungen zu verstehen, wenn ich sie nur höre. |4| Besonders schön sind die Hauptmotive, die ja ganz dem Charakter der Clarinette angepaßt sind. Joachim war auch hier zur selben Zeit u. hat wieder Alle entzückt. – Sehr interessiert haben mich Ihre Musikberichte, Sie hören doch auch viel Schönes und können nicht klagen. – Daß |5| Röntgen so große Fortschritte als Spieler gemacht, war mir überraschend zu hören – ob das der Einfluß seiner Frau war? Ach, daß er diese liebe Frau verlieren mußte, wie innig betrübt hat uns dies.
Der Anschluß nach Frankfurt auf Ihrer Reise nach Leipzig wird wohl nicht gefunden werden! – Wenn wir |6| uns dann doch wenigstens im Sommer einmal begegneten!
Leben Sie Beide wohl und gedenken Sie meiner wie bisher.
◊1Getreuest Ihre
Clara Schumann.
Marie grüßt sehr, es geht ihr gut, sie ist sehr fleißig, und ich thue eben, was ich kann, habe nette Schülerinnen, erfreuliche Resultate.
[Umschlag]
Herrn Professor
W. Engelmann.
Utrecht
(Holland)
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