Frankfurt a/M d. 30 Octbr. 94.
Liebste Lida,
nun endlich komme ich dazu Ihnen für Ihre zwei letzten lieben Briefe zu danken. Noch nicht mal für den Geburtstagsbrief hatte ich gedankt! es war aber diesmal fast Alles doppelt, einige Tage nach dem 13ten kamen fast Alle, die mir gratulirt hatten, mir condoliren zu dem Unfall, u. so hatten wir doppelt zu antworten, ich dazu den unbrauchbaren Arm, der leider wohl besser, aber noch gar nicht gut ist. Gewisse Bewegungen kann ich nicht ohne Schmerzen, oder gar nicht machen. Ich gebrauche jetzt Massage, und etwas Gymnastik, aber sehe noch keine Aenderung.
Wie sehr hat mich Ihr Bericht über Joach. gefreut, und, daß Sie ihn diesmal so gemüthlich genossen! es ist schon viel, fand er eine ruhige halbe Stunde für Sie. Wir werden ihn nun auch bald hier haben, mit Brahms. Da giebt es eine unruhige Woche, und, trotz der Freude, ist mir doch bang. Ach, liebste Freundin, ich könnte hier so Manches aus dem Innersten heraus anknüpfen, säße ich mit Ihnen Aug’ in Auge, aber das Papier ist spröde, es sieht alles doch anders aus, als es sich spricht. Wäre nur meine Stimmung besser, aber die Melancholie ist schrecklich, Alles sieht mich trübe an, und immer sage ich mir, es ist kein Glück für mich das lange Leben. Welch eine Last ist es auch für Marie! Wie viel Pflege braucht mein alter Körper, und nun gar seit ich das Mißgeschick mit dem Arm hatte! noch immer kann ich mich nicht ’mal allein anziehen. Doch genug davon und zu Ihrem lieben Felix, dessen Besuch mich so herzlich erfreute. Seiner Frau geht es ja besser, und wie froh wird sie sein, daß er nun nicht mehr so lange auf See geht – welch ein Gewinn für seine ganze Familie. Ich habe immer so ein Gefühl der Rührung, wenn ich ihn sehe. Ach, warum kann nun Ihr theuerer Mann nicht das Heranwachsen dieser Enkel erleben. Es ist so hart für Sie Alle und auch die Freunde! – So ein Verlust nimmt Einem doch viel von der Freude am Leben! –
Am 1 Nov. erwarte ich Frau Sauermann, die mir immer ein lieber Besuch ist. Sie ist so theilnehmend und wieder so vertrauungsvoll, dann verstehen wir uns musikalisch so gut, und es freut sie, wenn ich ihr vorspiele, wie selten kommt mir das jetzt! – Frau Kissel war 4 Wochen in Dresden, wollte gern ’mal die alten Freunde u. Bilder wieder sehen, ach aber, die theuere Emma Preusser fand sie blind auf einem Auge, sehr taub, und nur am Stocke gehend. Wie sind wir [Beide] da doch glücklicher daran! – Julchens Mutter hat den Entschluß gefaßt nach Wiesbaden zu ziehen, wo ihr Bruder allein und ziemlich leidend lebt, jedoch Unterricht giebt, und sein Auskommen hat. Wir waren erst entsetzt, aber, bei ruhiger Ueberlegung fanden wir doch viel dafür sprechend. Eine Wirthschaft ist immer billiger, als zwei, dann später für Julie mehr Chancen als Lehrerin zu reüssiren, als in Gera. Ich habe aber der Mutter sagen lassen, daß ich ihr Julie sofort schicke, wenn sie nach W. zieht, denn das würde nicht gut thun sie hier u. die Mutter eine Stunde davon. Sie kann wöchentlich zur Stunde zu mir kommen. Persönlich verlieren wir nichts an ihr, denn sie ist so launisch, so kalt und unfein in ihrem Wesen, daß wir sehr erleichtert sein werden, wenn sie nicht mehr bei uns ist. [das trübt mir oft sehr mein Leben!] Marie ist wie eine Mutter zu ihr, denkt immer nur daran ihr
zu nützen, ihr Freude zu machen – es hilft Alles nichts. Sie macht meist so finstere Augen, daß man sich fürchten könnte.
Liebste, zerreißen Sie diesen Brief gleich bitte. Rosalien lesen Sie natürlich daraus, was Sie wollen, aber die Junge’s brauchen es nicht zu hören, auch Agnes nichts von Julie, bitte.
Groß ist meine Sehnsucht nach Ihnen und Rosalie, aber wie soll ich zu Ihnen kommen? so hülflos bin ich ja, und so ängstlich sind die Kinder – denken Sie Eug. hat Marien das heilige Versprechen abgenommen mich nie allein in oder aus einem Wagen steigen zu lassen. Keinen Schritt gehe ich mehr allein.
Ich muß Ihnen doch erzählen, daß wir Ihr und Ihres Mannes Bild aus dem Armband-Etui herausgenommen, und, auf einer hübschen Staffelei befestigt, auf meinen Schreibtisch gestellt haben. Marie ließ mir nicht Ruhe, und ich fand, sie hatte Recht, daß es doch gar zu schade, das entzückende Bild nicht immer sehen zu können, eingeschlossen in dem Etui. So ist es nun am frühen Morgen ein lieber Anblick für mich, freilich aber mit Wehmuth gepaart. Ihn sehe ich nie wieder, und Sie, theuerste Lida, wer weiß, wann!, ach, kämen Sie doch ’mal zu uns – Sie sollten ganz still leben, nur hier und da ein Plauderstündchen halten. Doch, ich weiß, ich bitte vergebens!
Marie grüßt herzlichst, ist sehr, enorm thätig, Gott sei Dank, gesund. Auch ich arbeite täglich etwas, aber mit mehr Lebensmüdigkeit leider, als vor’m Jahr. Vielleicht wird es aber wieder besser, wenn ich weniger körperlich leide, und namentlich auch das Kopfleiden, das wirklich oft entsetzlich ist, ’mal etwas nachläßt.
In treuer Liebe
umarmt Sie Ihre
alte
Clara.
An Rosalie wärmsten Gruß.
Wie ist Frau Hübner’s Adresse in Dresden?