23.01.2024

Briefe



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ID: 13946
Geschrieben am: Freitag 05.08.1859 bis: 06.08.1859
 

Wildbad, den 5. August 1859.
Tausend Dank lieber Johannes, für die Briefe und Sendung, welche letztere aber 8 Tage gegangen, so daß ich die Serenade nicht mehr mit Frl. Wagner spielen konnte, da sie abreiste; mir war’s jedoch fast lieber, sie für mich allein zu spielen, als mit einer Dilettantin – mit anderen musizieren ist doch nur erquicklich bei gleichem Empfinden.
Die Änderungen im Konzert gefallen mir ganz wohl, nur will mir im dritten Solo der plötzliche Übergang nach D dur nach dem langen Fis moll nicht behagen; doch das ist Kleinigkeit gegen das Ganze, wundervoll Schöne! Was ich Dir wieder darüber und die Serenade sagen möchte, ist alt, doch kann ich Dir nicht verhehlen, daß ich wieder neue wonnige Stunden dabei genieße, wie doch nur Musik sie schafft. Leider darf ich mich mit Spielen nicht zu viel anstrengen und daher das Konzert jetzt nicht studieren, das macht aber nicht, daß ich es nicht doch genösse. Übrigens spiele ich viel mehr trotzdem, als ich soll, ich kann’s aber nicht lassen – es schafft mir ja die heitersten Stunden. Ich habe jetzt die Davidsbündler Tänze und op. 17 studiert und bin selig bei beidem! Wie wundervoll die Davidsbündler, das empfinde ich erst jetzt, nachdem ich sie mir nach Wunsch spiele, keine Finger mehr fühle, nur noch den Hauch der Poesie, der das Ganze so mild und innig durchweht. Oh, wie liebe ich Ihn wieder in diesem Werke!
Frl. Wagner sah ich öfter, noch mehr aber war Marie mit ihr zusammen; sie gingen häufig zusammen und suchten Heidelbeeren. Vorgespielt habe ich ihr wenig, da sie es nicht verlangte, und anbieten konnte ich es ihr nicht mehr, nachdem ich es schon einigemal getan hatte. Ich glaube nicht, daß sie sich viel daraus machte, und da fehlt mir dann auch der Animus. Gern vorzuspielen brauche ich warme Zuhörer, und ob sie es sind, zeugt oft nur ein Blick. Sie ist aber ein sehr gebildetes Mädchen, und der Vater ein recht gemütlicher Mann. Was ist er eigentlich? Daß sie mir einmal etwas vorgespielt, schrieb ich Dir wohl?
Sie erzählte mir von den schönen Marienliedern von Dir – was für Texte sind es? Hast Du die deutschen Tänze nicht wieder vorgenommen? Wie steht es mit dem Quartett? Ich hörte, Du spieltest es mit Reimers bei der Petersen?
Kennst Du das Arrangement des Trios von Robert für 4 Hände? Kirchner schrieb mir davon. Er beschäftigt sich jetzt damit, die Skizzen für Pedalflügel für 4 Hände zu setzen, und die Kanons. Das ist ganz gut, es wird beides bekannter machen. Hast Du die Präludien gesehen? Sie enthalten meiner Ansicht nach viel Schönes, aber häufig gar zu sehr auf die Spitze getrieben harmonisch, nicht natürlich fließend genug und oft zu klein in der Form für die breite Anlage. Einige aber sind reizend. Schade ist’s, daß er sich nicht an Größeres macht. Ich habe ihm wieder sehr zugeredet – ich kann gar nicht gut zusehen, wenn solch eine musikalische Natur so untergeht im Dämmern.
Den 6.
Gestern wurde ich unterbrochen durch Hartmann, der mir so Interessantes erzählte, daß ich wünschte, Du wärest dabei gewesen. Er kennt Menschen und Länder genau und erzählt mit vielem Geiste von allem. So gestern mir von Uhland, den er ein ganzes Jahr gekannt. Er bestätigte insofern, was man mir in Stuttgart erzählt, daß er sehr häßlich sei und mit niemand spreche, außer nach öfterem Zusammensein und abends in der Kneipe, dann aber taue er auf und sei äußerst liebenswürdig und geistvoll, dabei tief gelehrt. Er liebt sehr den Wein und erzählt selbst, daß er seit seinem 18. Jahr nie mehr einen Tropfen Wasser getrunken.
Wie gern lernte ich ihn kennen, von Stuttgart aus hätte ich es nah, doch was hilft es mir, wenn er am Ende davonläuft! – Von der Josephine Lang hörte ich, was mich sehr betrübt, daß sie schöne neue Lieder komponiert, jedoch keinen Verleger dafür finden könne; das ist doch schrecklich! Ich will an sie schreiben, und sehen, ob ich Rieter dazu bewege. Von hier läßt sich wenig mitteilen, die Tannenwälder sind immer gleich schön, das Rauschen des Baches, an dem ich jetzt sitze, immer gleich lustig frisch – könnte doch der Mensch auch so ewig frisch sein. Badegäste sieht man wenige, aber fast nur Lahme, viele in Rollwagen. Das tut mir immer sehr leid – unwillkürlich hemme ich immer meinen Schritt, wenn ich vor so einem vorbeigehe, es kommt mir so unbarmherzig vor, da so rüstig einherzuschreiten. Bekanntschaften habe ich keine, außer Hartmann, dem ich aber manche interessante Stunde verdanke. Ich beschäftige mich fleißig mit der Marie in der Musik und wollte Dich fragen, ob Du mir nicht ein recht einfaches, kurzes theoretisches Werk verschaffen könntest, wonach ich sie selbst in der Harmonie vorwärts bringen könnte? Marx ist viel zu groß und gelehrt, ich will nur, was man ein Handbuch nennt. Vielleicht könntest Du mir eines durch den Antiquar kaufen und hierher schicken? (Es muß aber alles recht klar sein.) Ich bleibe sehr wahrscheinlich noch bis Ende August, wollte eigentlich schon gern früher in die Schweiz, nach Luzern, wo Stockhausen nur eine halbe Stunde entfernt bei seinen Eltern lebt, und mir sehr zuredet, doch ist Frl. Leser mit hier und hatte sich bis Ende August eingerichtet, wegzubleiben, so will ich sie denn auch nicht früher verlassen – eine Liebe ist der anderen wert. Man kann es ja hier auch gern aushalten. So gehe ich denn wohl erst Anfang September nach Luzern, von wo aus ich mit den Kindern Marie und Elise die Berner Alpen besuchen will.
Für jetzt erwarte ich also hier recht bald wieder Brief von Dir – bitte recht bald, lieber Johannes, und recht viel – Dein Leben ist reicher wie meines.
Herzliches Lebewohl von Deiner
Clara.
Frl. Leser grüßt Dich herzlich, auch Elise.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Wildbad
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
Empfangsort: Hamburg
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
634-638

  Standort/Quelle:*)
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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