23.01.2024

Briefe



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ID: 13951
Geschrieben am: Mittwoch 29.05.1861
 

Düsseldorf, den 29. Mai 1861.
Lieber Johannes,
schon eher hätte ich Dir für Deine Sendung nach Aachen gedankt, hätte ich nicht hier eine solche Menge zu beantwortender Briefe liegen gehabt, daß ich nicht wußte, wo anfangen; dazu kam eine große Abspannung, die mich noch immer beherrscht, kurz, erst heute danke ich Dir, doch mindestens ebenso herzlich, als ich es vor 8 Tagen getan hätte. Eben hatte ich meine Zeilen an Dich in den Briefkasten gebracht, als mir abends im Konzert Wüllner Deinen Brief übergab, der, wenn auch recht kurz, mir doch Dein Sextett brachte, das ich nun nach dem Feste noch mit Wüllner spielen konnte. Sein Spiel ließ mich Dich freilich schrecklich vermissen, es machte ihm aber viel Freude, das Werk kennen zu lernen, und so ertrug ich es. Er war, namentlich vom ersten Satze, entzückt, den er, weil wir ihn mehrmals gespielt, am besten verstand. In Spa werde ich Deine kleinen Änderungen in Ordnung bringen – bis jetzt war es noch unmöglich. Aber wo blieb das Coda im Scherzo?
Wie viel habe ich im Josua Deiner gedacht!
Das war eine prächtige Aufführung, voller Schwung und Kraft die wunderbar schönen Chöre; es konzentrierten sich die Mittel (500 Mitwirkende) in dem verhältnismäßig kleinen Raum zu einem so mächtigen Ganzen, daß einem nichts zu wünschen blieb. Ich weiß mich seit langer Zeit keines so großen, ungetrübten Genusses zu erinnern. Der dritte Tag fiel auch schön aus – Joachim spielte göttlich, wir wurden beide belorbeert, er noch außerdem von den Damen mit Buketts förmlich bombardiert. Ich meine, ich hätte ihn noch nie so herrlich gehört, doch das meint man ja immer. Er machte mir die Freude, noch einen halben Tag hier zu bleiben, was nach all dem Trubel mir recht wohltat, nur waren wir beide sehr abgespannt. Leider hätte er auf der Nachtreise von hier nach Hannover großes Unglück haben können. Sein Zug rannte in vollem Laufe an einen anderen, so daß die Wagen aus den Schienen kamen, die Puffer wie Glas zersplitterten etc. Einige wurden schwer verletzt, er kam mit einem Schlage auf den Kopf (durch seine von oben aus dem Netz herabfallende Geige veranlaßt) davon.
Es hat doch etwas furchtbar Ergreifendes, tritt einem solcher Moment entgegen, entscheidend über ein geliebtes Menschenleben.
Von Aachen habe ich so manche Grüße für Dich, habe aber außer Wüllners Grüßen alle vergessen. Verhulst war nicht da, auch Kufferath nicht, Rymenans aber mit Weib und Kindern. Man sah sich übrigens wenig, wie immer auf den Musikfesten.
Hiller kämpfte am ersten Tage augenscheinlich mit dem Gefühl der Kränkung, daß man einen weit herkommen ließ, ihn ignorierte (was ja übrigens gar nicht anders zu erwarten war), im Josua aber wurde er so warm, ja begeistert, wie ich ihn nie gesehen.
Deine Mitteilung über die einstweilige Auflösung des Vereines hat mich überrascht, ich hatte das jetzt, wo er so zahlreich, am wenigsten erwartet. Da er Dir wirklich so viel Vergnügen bereitet hat, tut es mir recht leid, daß Du ihn aufgegeben – einen gemischten Chor wünsche ich Dir aber allerdings noch weit mehr. Es sollen doch all die Brüder, Bräutigams und Männer beitreten, dann gäbe es schon einen ganz schönen Chor. Hasenclever hat auch seit längerer Zeit einen Frauenchor. Was der wohl immer singen mag, begreife ich nicht; ich wollte ihn erst auf alle Deine schönen Sachen aufmerksam machen, wußte aber nicht, ob Du diese gern hergeben würdest.
Was ist denn aus Eurer Winterreise geworden? Die hat wohl der plötzliche Sommer zerstört? Stockhausen schrieb mir, aber nicht den Grund.
Eine Bitte, lieber Johannes: laß die Messe recht bald ausschreiben, und schicke dann alles gleich an Wüllner, der sie vielleicht noch diesen Sommer aufführt, was mir sehr lieb wäre. (Die Original-Partitur behalte aber an Dich.) Mit dem Requiem hat es noch etwas Zeit. Schreibe ja alles auf, was Du für mich auslegst, damit es nachher kein Hin und Her gibt.
Ich hatte neulich wieder einen Antrag aus Amerika, 4 Monate, vom 1. November an, und 10 000 Taler, habe es aber abgelehnt; ein Jahr geht mir damit doch verloren, und also von den 10 000 mindestens 5 000 ab für das, was ich brauche, hätte ich also für das große Opfer 5 000 Tlr.; das ist nichts, hat mich aber doch einige Tage recht beschäftigt. Solche Sachen sind aber alle nichts gegen die Sorgen wegen der Kinder, die wirklich ins Endlose gehen! –
Deine Äußerung neulich wegen Elise hat mir viel Nachdenkens gemacht und mein Zusammensein mit ihr in Aachen die Richtigkeit Deiner Ansicht, sie lieber da zu lassen, wo sie sich glücklich fühlt, bestärkt . . . . .
Ich gehe nun am Freitag nach Spa und bleibe dort jedenfalls den ganzen Juni. Zum 1. Juli habe ich ein Engagement, da ich aber während der Kur nicht spielen darf (öffentlich nämlich), so will ich diese bis dahin beendet haben. Es wird mir recht schwer, so allein dahin zu gehen; ich soll nicht arbeiten, weder viel spielen noch schreiben, wie schrecklich ist es aber, allein zu bummeln – das bringe ich nicht fertig, da werde ich ganz melancholisch.
Liebster Johannes, schreibe Du mir doch, so oft Du kannst, bitte, bitte – ich hoffte schon jetzt jeden Tag im Stillen auf Nachricht, hätte so gern noch vor meiner Abreise von Dir gehört! Du weißt, welche Erheiterung Du mir dadurch schaffst.
Auch kannst Du mir neue Kompositionen ohne Schwierigkeit schicken, wenn Du Deinen Namen darauf schreibst und Vorsicht halber rekommandierst. Meine Adresse ist:
Madame Cl. Sch.
Pianiste à
Spa
(en Belgique)
Schönste Grüße an die Deinen, auch von Marie. Schreibe bald, schicke recht viel – Noten oder sonst Liebes in Briefen Deiner
getreuen
Clara.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Düsseldorf
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
Empfangsort: Hamburg
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
777-782

  Standort/Quelle:*)
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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