Düsseldorf d. 8 Febr. 1863
Liebe Marie,
Ihren lieben Brief habe ich erhalten, und benutze einen der mir selten gegönnten freyen Augenblicke Ihnen einen herzlichen Gruß zu senden, muß Ihnen aber zugleich sagen, daß Sie mir in dem Verdachte, als habe ich nicht mehr die frühere Freundschaft für Sie, großes Unrecht gethan. Ich sandte einen Tag vor dem letzten Concert eine der Schülerinnen des Vaters mit Billeten zu Ihnen und gab zugleich den Auftrag an Sie, ob Sie mich nicht am Morgen nach dem Concerte besuchen wollten? ich |2| hat¬te die Adresse Nro 21 am See aufgegeben, und das Mädchen hatte Sie nicht gefunden, was ich aber erst am Morgen des Concerttages erfuhr. Mir fiel nun ein, daß es vielleicht Nro 23 sey, und ich schickte Ihnen gleich die Bil¬lets, der Auftrag aber war vergessen worden. Am anderen Morgen erwar¬tete ich Sie vergeblich, Mittag mußte ich fort. Sonst haben Sie immer we¬gen Billets zu mir geschickt – war es recht, daß Sie es diesmal unterließen? ich war Tags vor dem Concert sogar auf dem Wege zu Ihnen, und wurde bei Wilhelm Wieck, wo ich vorher übte so aufgehalten, daß ich nicht mehr kommen konnte, weil meine Schwester mich erwartete mit Ihr in’s The¬ater zu gehen. Sie sollten doch mein Herz so weit kennen, daß Sie immer |3| das sichere Gefühl meines Interresses und meiner Freundschaft unter allen Umständen hätten; konnte ich Ihnen das in letzter Zeit nie mehr bethätigen, so lag es in den Verhältnissen; ich bin ja immer und immer ge¬hetzt, liebe Marie. Ich stehe jetzt oft früher auf, nur um die nöthigste Cor¬respondenz zu beseitigen. Soll ich Sie nun unter solchen Umständen um Briefe bitten? wie gerne empfinge ich die Ihrigen, aber, ich könnte Ihnen ja mit dem besten Willen nicht antworten, und das würde Sie doch wieder kränken! Sie haben keine Idee, wie meine Verpflichtungen nach allen Sei¬ten hin sich mehren, ich kann’s kaum mehr erzwingen, Allen zu genügen. Denken Sie, seit Dresden habe ich nun schon wieder in Hannover, Haag, Rotterdam, Amsterdam, Arnheim, Utrecht, Köln, Bonn ect. ect. gespielt, |4| war dazu drei Wochen sehr stark erkältet, namentlich in Holland or¬dentlich krank, spielte aber immer dabei, weil ich die Engagements ein¬mal eingegangen war, (in 5 Tagen hatte ich in vier verschiedenen Städten Concerte, jeden Morgen Reise und Orchesterprobe) und Morgen reise ich nach Paris, wo ich wohl bis Ostern bleibe. Ich wollte aber Deutschland nicht verlassen, ohne Ihnen ein freundliches Wort zu schicken. Glauben Sie mir, so lange das <?> Herz in mir lebt, so lange schlägt es auch Ihnen, Sie Arme, schwer Geprüfte, <und so> in der alten Theilnahme.
Grüßen Sie Ihre getreue Freundin, und seyen Sie Selbst aufs herz¬lichste gegrüßt von
Ihrer
Clara Schumann.
Frl. Leser grüßt Sie sehr. Meine sichere Adresse ist immer hier bei Ihr.