Frankfurt a/m d. 17 Nov. 1878.
32, Myliusstr.
Liebe Marie,
ein Dankeswörtlein für Ihre lieben Wünsche, die mich so innig erfreut haben, muß ich Ihnen doch eigenhändig schicken. Ich wußte es aber auch ohne Ihre Zeilen daß Sie meiner treu und warm in dieser Zeit gedenken würden. Es war ein gar schönes, erhebendes Fest für mich, gekrönt durch viele |2| Beweise von Theilnahme. Freilich, die wehmütigen Gedanken und Empfindungen blieben auch nicht aus! ich habe ein so reiches Leben hinter mir, besitze aber auch noch Vieles, wofür ich dem Himmel dankbar bin, meine Kinder, treue Freunde und die treueste Trösterin in allem Leide, die Kunst! – Wie empfinde ich wieder jetzt so recht den Segen dieser Besitzthümer, denn eine schwere Sorge lastet |3| auf uns Allen! mein jüngster Sohn, reich begabt, schwindet so vor unseren Augen hin, und, wir können nichts thun, als ihn pflegen und mit unserer Liebe ihm sein Leid zu erleichtern suchen. Nachdem er 4 Jahre in Italien zugebracht, u. immer kränker wurde, haben wir ihn jetzt zu Haus. Was das für ein Mutterherz ist, das begreifen Sie, mit Ihrem warmen Gemüthe, gewiß. Ein Glück, so schwer es mir auch unter den Umständen wird, ist |4| mei¬ne neue Thätigkeit hier, die mich Stundenweise doch abzieht. Sie sehen, liebste Marie, das alte Herz in mir soll nicht zur Ruhe kommen.
Ich muß schließen, darf eigentlich gar nicht selbst schreiben meines Armes halber, der aber leidlich ist. Haben Sie über das Concert in Leipzig etwas gelesen? wenn nicht so schicke ich Ihnen einen recht freundlichen Bericht.
Leben Sie wohl, erhalte Ihnen der Himmel Ihren größten Schatz, die treue Freundin u. gedenken Sie Beide zuweilen –
Ihrer immer getreuen
Clara Schumann.
Denken Sie, weder Mutter noch Schwester fanden ein Wort für mich!!! –
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