23.01.2024

Briefe



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ID: 14079
Geschrieben am: Montag 08.11.1858
 

Berlin, Montag, den 8. November 1858.
Diese Zeilen sollen Dir, lieber Johannes, nur ein Gruß sein, zu viel mehr bleibt mir nicht Zeit. Ich erhielt nämlich vor einigen Tagen, durch ein Mißverständnis 8 Tage zu spät, Brief von Wien, daß man sicher für das Gesellschafts-Konzert zum 14. auf mich rechne; ich war gar nicht darauf vorbereitet, hatte im Gegenteil beschlossen, wenigstens bis Mitte November hier zu bleiben; nun geht es Kopf über, Kopf unter!
Dabei konzentrieren sich meine Gedanken so schwer auf das Nötige – ich sah wohl kaum jemals einem Winter schwerer entgegen als diesem.
Aus Deinem letzten Briefe will mir doch kein recht freudiges musikalisches Leben heraussehen, wie ich es mir doch dachte, namentlich dadurch, daß Du mit dem Orchester zu tun bekommst! Daß der junge Meysenbug aber nicht da ist, tut mir auch leid, mit ihm verkehrtest Du doch am meisten! Nun, so gar lange wird’s ja nicht mehr dauern, dann bist Du wieder erlöst und bei den Deinigen.
Neulich hörte ich zum ersten Male eine Mozartsche Serenade (B dur) für 13 Blasinstrumente, wobei mir es so recht klar wurde, wie diese so speziell für diese 13 Instrumente gedacht, während die Deinige8 durchaus eines vollen Orchesters bedarf. Noch mehr fiel mir auf – ich konnte mich, trotz Mozart, nicht der Sehnsucht nach Deiner Serenade erwehren, die mich viel anders entzückt! Was mir namentlich bei Mozart auffiel, war eine große Monotonie im Klange – ich höre überhaupt nicht gern mehrere Sätze nur von Blasinstrumenten, wobei mir besonders die Oboe, sonst so wunderbar ergreifend, oft ganz abspannend wirkt.
Daß ich Dir über die ungarischen Tänze nicht geschrieben, tut mir jetzt, wo du sagst, es würde Dir Freude gemacht haben, leid, denn wie gern bereitete ich Dir immer solche! Es geschah aber nur aus einer ängstlichen Scheu, Du möchtest mir etwas Unfreundliches sagen, wie es ja oft schon geschehen in ähnlichen Fällen; daß es mir schwer geworden, weißt Du, ohne daß ich’s sage – es wäre mir ja selbst eine königliche Freude gewesen, Dir es zu schreiben. – Ich denke sie in Wien und Pest auch zu spielen, nur bin ich nicht ganz einig, ob alle, oder ohne den in C Moll? Ich ließ letzteren in Düsseldorf weg, doch kam mir’s etwas kurz vor. Dann nannte ich sie „ungarische Tänze“. Soll ich das auch dort? oder „Tänze in ungarischem Stile?“ Ich weiß nicht, was in den Signalen gestanden, aber mit gutem Gewissen kann ich Dir sagen, daß sie großen Beifall gehabt, und daß ich sie nicht eben schlecht gespielt. –
Mit dem Konzerte möchte mir aber eine Überraschung schwer gelingen, denn ich habe ja weder Stimmen noch Partitur.
Nach Leipzig komme ich jetzt gar nicht, soll aber am 17. Dezember dort spielen und habe vorläufig zugesagt.
Ich reise nun morgen ab, bleibe eine Nacht in Dresden, eine in Prag, und hoffe mit Gott, Donnerstag abend in Wien einzutreffen. Dort spiele ich am 14., gehe dann nach Pest, wo mein Konzert den 21. stattfinden soll. In Wien denke ich erst anfangs Dezember eigenes Konzert zu geben.
Ich habe Dich schon immer fragen wollen, ob Du Rieter Deine Variationen geschickt? und ob Du die Kinderlieder noch nicht erhalten? Auf die habe ich mich schon so lange gefreut, und immer verlautet noch nichts! . . . . . . .
Gedenke und schreibe bald Deiner
Clara.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Berlin
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
Empfangsort: Detmold
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
572-575

  Standort/Quelle:*)
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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