23.01.2024

Briefe



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ID: 14084
Geschrieben am: Donnerstag 31.03.1859
 

Dresden, den 31. März 1859.
Habe Dank, lieber Johannes, für Deine baldigen Nachrichten. Ich habe die innigste Freude darüber, daß alles so gut abgelaufen, und auch, daß Du eine schöne Einnahme gehabt, was als Zugabe zu allem Herrlichen doch auch ganz angenehm. Es hat mir im tiefsten Herzen weh getan, daß ich nicht dabei sein konnte, und wohl hattest Du recht, mich Dir einsam und traurig im Gasthof sitzend zu denken. Das Programm ist wundervoll und mit welcher Liebe Joachim alles einstudirt haben mag, kann ich mir wohl denken, und finde es aber sehr natürlich. Wie oft im Leben wird es denn einem ausgezeichneten Künstler, solchen Zeitgenossen zu haben, wie er an Dir hat! Hat er das Herz auf dem rechten Flecke (und bei solchem kann es ja nicht anders sein), so muß er das Glück ja tief empfinden. Dies und das Hören Deiner Sachen unter so liebevoller Leitung muß Dich ungeheuer anspornen, das ist nicht anders möglich, schöpfest Du auch genug aus Dir. – Ich aber werde die Serenade wohl so bald noch nicht hören, denn Konzert in Leipzig gebe ich nicht, überhaupt keines mehr jetzt, ich kann nicht mehr! Hätte ich auch noch die Körperkräfte, so doch keine musikalische Frische mehr, und sobald ich das fühle, höre ich immer gleich auf, weil ich die künstlerischen Pflichten doch heiliger noch halte als materielle. So habe ich denn Stockhausen alle Konzerte refüsiert.
Ich war aber erstaunt, auf dem Programm sechs Serenadensätze zu lesen, während ich nur viere kenne? Oder hast Du andere Sätze, die ich schon kenne, dazu genommen? Und welche Änderungen hast Du im Konzert gemacht? Könntest Du die nicht in meiner Klavierstimme bemerken, wenn ich sie Dir schicke? Da Du sie nie brauchst, so könntest Du sie mir dann wieder schicken – ich sehe es mir gern von Zeit zu Zeit durch. Es freute mich, von Stockhausen solch Entzücken zu hören über das Konzert, gegen welches die Leipziger ihn gehörig eingenommen hatten. Wenn ich aber Du wäre, nie streckte ich auch nur einen Finger aus, die Leipziger einen Ton von mir hören zu lassen. Es kommt noch einmal die Zeit, wo sie selbst danach greifen! So wonnig es mir auch wäre, die Serenade zu hören, lieber verzichtete ich darauf, als sie diesem böswilligen Volke vorzuführen. Aus Deiner Geographie muß Leipzig gestrichen sein – so viel Stolz mußt und kannst Du haben.
Ich hatte in Prag am selben Tage wie Ihr mein Konzert, aber nicht abends. Ich habe zweie gegeben, beim Kaiser gespielt, und sollte noch länger bleiben, aber, wie gesagt, es geht nicht mehr. Übrigens habe ich dort auch nicht eine Bekanntschaft, die mir im geringsten sympathisch wäre, überhaupt in Österreich nur wenige – die Menschen haben Feuer, ’s ist aber Strohfeuer; ich will das Feuer, das fort und fort brennt tief drinnen.
In Prag fehlte es nicht an Enthusiasmus, aber die Zukunftsmusik fängt leider an Wurzel dort zu schlagen, und Liszt hat dort, wie überall, eine Schar, die schürt und schürt.
In Wien hörte ich einmal den Lohengrin und begreife gar zu gut, wie solche Oper die Menschen betört. Das Ganze ist voller Romantik und fesselnder Situationen, und zwar so, daß selbst der Musiker auf Augenblicke die greuliche Musik vergißt, obgleich mir Lohengrin im ganzen erträglicher als Tannhäuser, in dem er sich an Greueln erschöpft. In Prag erzählte man mir von der Musik zu Tristan und Isolde – das soll womöglich noch schrecklicher sein, als alles Frühere.
Hat Dir Stockhausen nicht erzählt von Schneider, wie der uns neulich vorgespielt? Ich mußte dabei recht Deiner gedenken, und wie seine Technik mit Deinem Geiste vereint das Höchste von Genuß sein müßte. Er faßt mir vieles von Bach nicht edel genug auf, hat zuweilen im Vortrag etwas Manieriertes, und doch schafft er einem so großen Genuß. Spieltest Du doch Orgel! Ich denke aber, Du tust es später auch noch. . . . . . . .
Wenn ich mich aber über etwas freue, so ist es die Freude Deiner Eltern, die sie jetzt gehabt haben müssen! Grüße sie sehr!
Und nun sei auch Du herzlich gegrüßt, schreibe mir bald wieder, und auch davon, ob Du ganz wieder genesen? Innig betrübt hat es mich, daß das gerade kommen mußte in der Zeit, wo Du sonst die schönste, reinste Freude hättest genießen können! Doch „Ende gut, alles gut“, und so war es ja bei Euch! –
Das sicherste ist, Du schreibst hierher, da ich jetzt noch hier bleibe, oder wenigstens in der Nähe.
Gedenke Deiner Clara.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Dresden
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
Empfangsort: Hamburg
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
611-614

  Standort/Quelle:*)
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 

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