23.01.2024

Briefe



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ID: 14088
Geschrieben am: Sonntag 18.09.1859
 

Honnef, den 18. September 1859.
Wie innig erfreut hat mich Dein Geburtstaggruß, liebster Johannes, der mir noch am Abend des 13ten, als ich allein am Fenster sitzend der untergehenden Sonne nachsah, kam. Der Himmel voll wundersüßer Harmonien, die Du mir sandtest – Dein Adagio – kam erst am andern Tage (mußte erst von Königswinter der Steuer wegen geholt werden), doch waren Deine Worte mir liebe Vorboten. Habe Dank, herzlichen! –
Was nun soll ich Dir über das Adagio sagen? nicht immer bewährt sich das Sprichwort „weß das Herz voll ist, deß geht der Mund über“; mir ist dabei, als könnte ich kein Wort finden für die Wonne, die mir dies Stück schafft und nun willst Du recht viel hören! Dasselbe zu zergliedern wird mir schwer, ich muß mir recht was Schönes dabei denken, das [sic] ich’s gern thue, etwa, als ob ich die Staubfäden einer seltnen schönen Blume einzeln betrachtete. Es ist wunderbar schön! wie schreitet der Baß gleich so sanft und würdevoll, wie eine hehre Gestalt, Bachisch einher, wie beginnt das 2te Thema so wehmuthsvoll (der leere Klang ergreift hier ganz eigen) und verflicht sich dann so innig mit den andern Stimmen und wie herrlich der Schluß dieses ersten Gesanges mit dem Orgelpunkt in der Mitte. Weiter das  so schön, gleich wieder beruhigt, dann der ganze Uebergang nach As-dur, das Horn, der neue Gesang, der schmelzende Orgelpunkt, dann der Eintritt der Viola wieder mit dem ersten Thema, das Cresc. bis zum G-dur – das Alles ist so schön! aber von da an wird’s Einem so himmlisch zu Muthe (ich spiele mir aber die Stelle:
[Noten]
immer ganz ) so unbeschreiblich mild und rührend ist das und der Schluß, wie’s so still wird – das zieht Einem die Seele so ganz mit hinein – da kann ich wirklich nichts mehr sagen. Das ganze Stück hat etwas Kirchliches, es könnte ein Eleison sein.
Lieber Johannes Du weißt wohl, daß ich besser empfinden, als es in Worten aussprechen kann.
Das Menuett ist sehr anmuthig (etwas Haydn’sch) und im Trio die Oboe, da freue ich mich schon darauf, die wird gar eigenthümlich mit der schwebenden Melodie klingen, ich hätte schon gern gleich errathen, was da kommt. Der erste Satz hat mir auch wieder sehr Freude gemacht, Einiges was mir nicht ganz lieb darin, sagte ich Dir früher schon und empfand es wieder eben so, doch sind’s nur Kleinigkeiten zum schönen Ganzen. Daß ich’s wieder hergeben muß, ist mir leid, doch heute schicke ich es noch nicht wieder mit, das meintest Du wohl auch nicht? sage mir bis wann Du es entschieden haben mußt.
Die Lieder sind reizend und müssen eigenthümlich klingen, schön fließend finde ich auch das Adoramus bei der strengen Kunst; am zweiten der Schluß „Dein köstlich Blut“ fiel mir gleich auf als ganz besonders zart den Worten sich anschmiegend, noch ehe ich gesehen, daß Du selbst mir diese Worte besonders bezeichnet hattest.
Könnte ich doch nur das Alles hören! wirst Du nicht auch die 2te Serenade in Detmold spielen lassen? Das thue doch ja, denn sonst höre ich’s noch in Jahr und Tag nicht! entbehre ich ja doch so schon genug!
Daß Du in Detmold wegen meines Spielens schon ernstlich mit den Herrschaften gesprochen, dachte ich nicht, natürlich werde ich dann nicht zurücktreten, damit träte ich ja Dir zu nahe.


[Schluß fehlt.]

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Honnef
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
Empfangsort: Hamburg
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
645-648

  Standort/Quelle:*)
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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