23.01.2024

Briefe



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ID: 14091
Geschrieben am: Sonntag 05.02.1860
 

Amsterdam, den 5. Februar 1860.
Noch so sehr mag ich es mir überlegen, ich kann es nicht ermöglichen, am 10. bei Dir, lieber Johannes, zu sein. Wenn ich in der Nacht des 9. von Rotterdam ginge, so käme ich doch erst nach dem Konzert in Hamburg an. Und wie wird es nun mit Hannover? Gibst Du die Serenade am 18., so ist noch eine Möglichkeit, daß ich sie höre, wenn aber erst später, so komme ich darum – das wäre schändlich! Und wahrhaftig, in Hannover dabei zu sein, habe ich ein erstes Anrecht. Schreibe mir es doch so bald als möglich, wenn sie bestimmt in Hannover aufgeführt wird? Ich erwarte dieser Tage Antwort aus Wien auf meine Anfrage, ob ich dahin noch gegen Ende d. M. kommen kann, ohne daß es zu meinem großen Nachteil ist. . . . . . .
Mir ist neulich eingefallen, möchtest Du mir nicht nach Wien einige von den Hamburger Artikeln mitgeben? Du weißt, ich lege keinen Wert darauf, leider aber viele Leute, oft auch Musiker, und es könnte wohl sein, daß einer oder der andere auf Deine neueren Werke öffentlich aufmerksam machen wollte und mich um etwas aus Hamburger Blättern früge. Du weißt von mir, daß ich nur den zartesten Gebrauch davon machen würde – Deiner Ehre gewiß nicht im entferntesten zunahetreten.
Leider muß ich auf die Freude, Deine Serenade in einem eigenen Konzerte in Berlin zur Aufführung zu bringen, verzichten, da Du sie zur ersten Aufführung Joachim versprochen, was ich sehr recht finde. Ihm diese Freude zu nehmen, würde ich ja natürlich keinen Versuch machen, nach dem 18. aber muß ich im günstigsten Falle gleich nach Wien, sonst wird es dort zu spät.
Deinen Frauenverein wieder in flottem Gange zu wissen, freut mich – was alles schreibst Du da wieder!
Daß Du aber mit . . . . . Otten noch freundlich verkehrst (von einer Seite betrachtet freilich wohl mußt?!), ärgert mich. Es ist doch elendes Volk, das Musikervolk im allgemeinen. Nun, das ist ’ne alte Geschichte, umsomehr aber finde ich, daß wir wenigen Gutgesinnten uns vor allem die Achtung vor uns selbst erhalten müssen.
Ich möchte Dir Interessantes von mir mitteilen können, doch kennst Du ja mein Leben; von außen mag es wohl manchem ein glückliches erscheinen, innen aber ist’s unsäglich traurig oft. – Ehren habe ich genug hier genossen, in Utrecht Fackelzug und Ständchen von den Studenten, mit bengalischem Feuer – ich erschien dann im Halbdunkel am Fenster, da gab’s Hurras, es wollte des Schreien’s kein Ende nehmen, Begeisterung von der einen, Rührung von der andern – das war schön! Nun, am Morgen waren die Fackeln verraucht, wohl auch die Begeisterung – wofür all den Aufwand an Gefühlen?! Recht ein Abbild des ganzen Lebens. Hier gab’s Tusch, großen Enthusiasmus – nun, Du weißt’s ja: „Heute mir, morgen Dir!“ (ich meine aber nicht Dich!) Dir wollte ich gern meine Stelle und viel mehr noch einräumen.
In Cassel hab’ ich schlimme Tage verbracht; die arme Agathe und vieles noch ging mir nicht aus dem Sinn! Immer sah ich das arme verlassene Mädchen und lebte alles Leid mit ihr durch. Ach, lieber Johannes, hättest Du es doch so weit nicht kommen lassen! – Ich sah sie aber auch in Person, d. h. von weitem beim Herausgehen aus dem Theater, wohin sie mit Frau Grimm, Frl. Wagner, Bargheer usw. zum Konzert gekommen waren. Ich bewunderte ihre Kraft, daß sie es konnte – Genuß kann sie doch unmöglich gehabt haben! Bargheer kam zu mir auf die Bühne – ich fand ihn sehr zu seinem Vorteil verändert, er sah mir geistig entwickelter, belebter! Das macht wohl auch die glückliche Bräutigamschaft.
In Düsseldorf verlebte ich mit Woldemar und Dietrich einen schönen Abend. – Beide kamen, mich dort zu besuchen, und Dietrich brachte mir auch Ludwig und Ferdinand mit, die ich sehr zu ihrem Vorteil (viel anders aussehend) verändert fand. Dietrich hatte mir einige Tage zuvor geschrieben um Deine Adresse – er wollte Dir wegen der Serenade schreiben.
. . . . . Ich befinde mich in einer peinlichen Lage, habe nämlich plötzlich seit 2 Tagen heftige Schmerzen an einem Finger, ohne alle äußere Veranlassung, kann nicht spielen, und habe eben zum Arzt geschickt; ist es bis morgen nicht besser, so muß ich im Haag und Rotterdam abschreiben; denke Dir, das wären 400 Gulden Verlust! Was einem da alles passieren kann, woran kein Mensch dächte!
Hier ist Schnee, Regen und Nebel – ich war gestern nach den Schiffen, doch man sah nur hie und da eine Mastspitze herausgucken. Die Tiere will ich nächster Tage besuchen und dabei an unseren letzten Spaziergang denken.
Nun hast Du aber genug meines Geplauders, liebster Johannes, darum will ich Dir Adieu sagen. Kannst Du mir bis zum 8. schreiben, so tue es nach Rotterdam: Herrn Musikdirektor B. Tours, wenn aber erst später, so nach Düsseldorf, dort übernachte ich jedenfalls vom 10. – 11.; ich werde dort gerade eintreffen, wenn Du in Komponisten-Wonne schwelgest. Wie bitter, nicht dabei sein zu können! –
Schreibe bald und lang und lieb
Deiner getreuen
Clara.
Nachschr.: Schreibe ja wegen Hannover, denn ich mache darnach meine weiteren Reisepläne.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Amsterdam
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
  Empfangsort: Hamburg
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
676-680

  Standort/Quelle:*) unbekannt, vgl. Druck
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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