23.01.2024

Briefe



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ID: 14104
Geschrieben am: Samstag 08.12.1860
 

Leipzig, den 8. Dezember 1860.
Lieber Johannes,
ich konnte mich nicht entschließen, Dir die Noten zu schicken, ohne einige Zeilen beizulegen, und das war mir bis jetzt unmöglich, so sehr ich auch immer daran dachte. Du erhältst also die Noten, Frau Frege hat die Stimmen mit beigelegt und mir gesagt, Du sollest sie behalten, jedoch, wenn sie sie einmal haben möchte, ihr dann leihen. Der Mittwoch abend war ein sehr schöner, denke Dir, was wir gemacht haben. Ich hatte Livia die Harfenlieder gezeigt, die ihr gleich sehr gefielen, und da überlegten wir denn, ob es nicht möglich, sie am Mittwoch vor einer Gesellschaft hier zu singen. Eine Probe war aber nicht anders möglich als um 6 Uhr, denn ich kam ja erst Nachmittag von Erfurt. Also um 6 Uhr waren die Hornisten bestellt, wir probierten, bis die Gesellschaft kam, und, denke Dir, es ging ganz hübsch, freilich brachten wir nur das erste und vierte zustande. Also erst begann Paul Flemming mit Orgel, dann kamen die zwei Gesänge, die so gefielen, daß wir sie wiederholten, darauf ein Trio, dann Dein Abendständchen und zwei Lieder Roberts. Ich denke, Du kannst zufrieden sein, denn stark vertreten warst Du.
Im letzten Abonnementskonzert hörte ich zum ersten Male Gades 3. Sinfonie, die mich teilweise sehr entzückte, namentlich 2. und 3. Satz. Außerdem wurde Reineckes hübsch gemachte, aber doch recht arme Ouvertüre zur Dame Kobold und Rietz’ urlangweiliges Violinkonzert spielte Dreyschock. Das kommt mir vor, als ob er sich so recht gefallen hätte in der übelsten Laune. Kennst Du es? Der Reinecke hat mir auch gestern allerlei von sich gespielt, ich kann aber nie einen recht frischen Erguß, und wäre er auch unbedeutend, finden. Hinterher spielte mir Rudorff Verschiedenes – ich versichere Dich, es tat einem ordentlich wohl, weil es eben alles natürlich und warm empfunden ist. Bis jetzt zeigt sich zwar noch keine Originalität, . . . . . aber es ist außerordentlich viel Zartheit, Schwärmerei in seinen Sachen; ich habe ihn aber gewarnt vor dem allzuvielen Schwärmen, damit es ihm nicht geht wie Kirchner. Er erinnert mich oft an diesen, kann sich auch so gefallen in den überschwenglichsten Harmonien. Nun, ich hoffe aber, er arbeitet sich heraus, seine Natur ist doch eine bei weitem kräftigere als die Kirchners.
Deine Harfenlieder haben ihn ganz entzückt, ebenso spricht er noch immer von dem Sextett, das ihm immer im Sinne läge. Ich schwatze aber und langweile Dich und habe doch die Ouvertüre vergessen. Er spielte sie mir gestern, es ist viel Schönes darin, aber doch sehr unklar in der Gestaltung, ebenso harmonisch ziemlich bunt, oft kurz, es ist eben ein erster Versuch, die wollen immer die Welt umstürzen.
Gestern empfing ich eine sehr herzliche Einladung von Halliers – hast Du sie veranlaßt? Schreibe mir, ob ich sie annehmen soll? . . . . .
Joachim schickte mir gestern ein herrliches Quartett-Programm, er hatte gedacht, ich könnte dabei sein, ich habe ja aber erst Montag meine Soiree hier.
Nach Belgien gehe ich jetzt nicht, erst Mitte Januar . . . .
Wie so manches schriebe ich Dir noch gern, ich werde aber jeden Augenblick gestört.
Recht betrübt war ich, nachdem Du fort warst, und bin es auch noch!
Leb wohl, lieber Johannes.
Nimm den innigsten Gruß – möchte der Widerhall voll und warm zurückklingen
Deiner
getreuen
Clara.
Alles Schöne den Deinen.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Leipzig
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
Empfangsort: Hamburg
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
739-742

  Standort/Quelle:*) unbekannt, vgl. Druck
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 

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