23.01.2024

Briefe



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ID: 14106
Geschrieben am: Freitag 01.02.1861
 

Detmold, den 1. Februar 1861. Abends.
Mein teurer Johannes,
habe Dank für Deinen lieben Brief diesen Morgen – wüßtest Du, wie nötig er mir war! Der Abschied war mir so gar traurig, und tagelang nun schon wird mir jedes Wort schwer, das ich mit andern Leuten sprechen muß. Gestern abend schrieb ich Dir schon, gleich nach meiner Ankunft, es war aber so traurig, daß es heute nach Deinen lieben Zeilen nicht mehr paßte. Der Vormittag aber verging unter Konvenienz-Besuchen im Schlosse, das war ein Hin und Her, dann hatte Prinzeß Friederike Stunde, dann ging ich bei herrlichstem Sonnenschein in den Wald, kam aber recht traurig zurück, denn ich hatte immer an Dich denken müssen, und wie schön es wäre, wärest Du hier, wie anders es sich im Walde spazieren ließe und vieles noch! Ja, Du hast wohl recht, es wäre gar schön, könnte man sich öfter an recht schönen Menschen erbauen, doch lieber noch mag ich einen oder ein paar Menschen recht innig lieb haben, als für viele schwärmen, und so wünschte ich mir denn keineswegs, daß Du mich einmal wieder zum ersten Male sähest, um schwärmen zu können (wenn das überhaupt je möglich war), lieber habe mich recht lieb, nicht wahr, und immer und immer – das ist doch das Schönste.
Zwischen der vorigen und dieser Seite, was liegt dazwischen! Ein Familientee und D moll-Sonate vom Robert, Prinzeß mit Bargheer. O, das war eine Prüfung! Nun, Du kannst es Dir denken. Da morgen Hofkonzert, so bin ich bald losgekommen und kann nun noch etwas mit Dir plaudern. Also Hofkonzert, und womit fange ich an? – G dur-Konzert von Mozart. Nun sage noch, daß ich ein Frauenzimmer mit dem nichts anzufangen! Und welch schrecklicher Leichtsinn, ein einziges Mal hab’ ich es heute durchgespielt. Es ist aber entzückend – ich will recht an Dich denken dabei morgen.
Ich hoffe, ich setze auch das andere noch durch, beide morgen, das ging nicht. – Bargheer spielt auch ein Konzert und ich das Es dur, also drei. Schade, daß ich vom A dur die Partitur nicht habe, ich sah heute beim Durchgehen des G dur, wie angenehm solche ist (Prinzeß hatte die Partitur –), ich studiere überhaupt immer lieber aus der Partitur ein.
Der Fürst hat sich doch recht nett gegen Bargheer benommen, hat ihm für den Unterricht der Prinzeß noch jährlich ein Fixum von 200 Tlr. zugelegt, so steht er sich nun auf 600 Tlr. fest und kann im Winter oft mal fort, was er in Hamburg kaum gut könnte.
Am 8. kommt er – ich hoffe, Avé ist zufrieden mit mir. Für Leipzig am 4. hat er auch Urlaub bekommen, aber übel sieht er aus. Die rote gesunde Bargheer-Ausgabe habe ich noch nicht gesehen.
Was lockst Du mich aber schon wieder nach Hamburg mit Deinem Programm! Ach, du mein Gott, wer weiß, wo ich da bin! Aber, wie gern hörte ich den Grabgesang! Könnten sie ihn mir doch hier singen – ich will’s einmal Bargheer sagen.
Kiel sah ich heute und habe ihn als den Herrn Oberhofmarschall von Meysenbug angeredet, worüber wir beide gleich erschrocken waren. Es machte wohl das rote Gesicht. Sonst sah ich niemand noch.
Daß Dir Palleske gefällt, freut mich sehr, weil ich es auch mit so warmem Interesse gelesen; mir gefällt der liebevolle und doch von aller Übertreibung freie Ton so gut. Man fühlt die Schwächen Schillers wohl, aber nur so wie leichte Wolken vorüberziehend – in herrlichstem Glanze tritt einem doch immer wieder der edle schöne Mensch entgegen.
Denke Dir, was mir mit Königs in Hannover passiert. Ich erhalte heute 100 Louisdor mit der Meldung, daß der König mir diese bedeutende Summe sende, für die seit der letzten Honorarzahlung 1859 gewährten Kunstleistungen, sowie für die noch zu wiederholenden Musikabende später. Wie verstehst Du das? Welches sind nun eigentlich meine Verpflichtungen? Ist mir eine Gnade geworden oder keine? Zum Glück ist Joachim noch dort, dem habe ich gleich geschrieben, und gefragt, ob ich mich bedanken muß. Ist das nicht kurios? Wäre es ein Jahrgehalt für 5 mal Spielen, so wäre es mir schon recht.
Hast Du Halliers öfter wiedergesehen? Ach, welche Briefe habe ich zu schreiben, lauter Dankbriefe. Ich werde einige Bargheer mitgeben – Du besorgst sie doch wohl eigentlich nicht gern.
In Osnabrück sah ich Grimm ein paar Augenblicke – es scheint ihm gut zu gehen, doch kann ich Dir nichts Genaueres erzählen. Er war zu dem Konzert gekommen – das hätte er sich sparen können, denn eine Reise war es wahrlich nicht wert. Es war so flau wie möglich, obgleich voll. Dort sind sie noch in der Kindheit Tagen, das Publikum ganz ungebildet, Chorgesang schauerlich, Lieder vom Robert „Du meine Seele“ wie ’nen Gassenhauer – nach Hamburg – Osnabrück, das war doch zu bitter.
Daß ich in einem Konzerte auch keinen Moment innerlich warm werde, das passiert mir selten, fast nie, hier war es aber so, und empfand ich es traurig genug, daß ich nicht an meinem Platze war. Du kannst nicht glauben, wie es mich betrübt, wenn ich fühle, ich habe gleichgültig gespielt, mir ist dann, als habe ich der Kunst und mir ein Leid getan.
Ich habe geschwatzt, als habest Du geduldig zuhörend an meiner Seite gesessen – wäre es doch so!
Mein herzlieber Freund, schreibe mir doch recht oft, Du weißt ja, wie Liebes Du mir damit erzeigst, und nun gar, wenn ich fühlen kann, wie Du es von Herzen gern getan.
Grüße die lieben Deinen, Du sei es tausendmal von
Deiner getreuen Clara.
. . .

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Detmold
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
Empfangsort: Hamburg
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
757-761

  Standort/Quelle:*)
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 

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