23.01.2024

Briefe



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ID: 14110
Geschrieben am: Montag 15.07.1861
 

Kreuznach, den 15. Juli 1861.
Lieber Johannes,
auf meinen Dank für Deine beiden letzten Briefe sollst Du nun doch nicht länger warten, kann ich Dir gleich nicht schreiben, wie ich möchte.
Ich bin so niedergedrückt von tausenderlei Sorgen um die Kinder, daß ich keinen freundlichen Gedanken mehr fassen kann. Es ist doch zu viel für eine Frau allein, diese Sorgenlast, und so ohne allen männlichen Beistand. Namentlich sind es die Knaben, für deren Unterkommen ich mir keinen Rath weiß – Ludwig kann nach Aussage des Dr. Breusing sowie des Hauslehrers bei Frau Böcking, der ein äußerst gebildeter Mensch und sehr erfahren im Lehrerfach ist, in keiner öffentlichen Schule fortkommen, muß also vom Ferdinand, der nun aufs Gymnasium kommt, getrennt werden – wie hart für ihn, und wohin? Er muß seinen Körper kräftigen, aufs Land zu einem Geistlichen rät man mir, wo aber findet man alle die Bedingungen erfüllt, die sich doch an solch einen Entschluß knüpfen? Könnte ich einmal mit Dir über alles sprechen, Du rietest mir vielleicht etwas, doch in Dein freundliches Balkon-Zimmer, wie ungern trete ich ein mit meiner trüben Miene! –
Wie sehr freut es mich, daß Du Dich entschlossest, aufs Land zu ziehen; wirst Du aber in so verlockender, liebenswürdiger Nähe zum Arbeiten kommen? Erhältst Du denn in dem Hause, wo Du wohnst, auch Kost? Könnte ich Dich mal auf Deinem Balkon überraschen! Ach, wie weit ist es aber. Und die herrlichen Lieder hast Du nun alle, und in so schöner Ausgabe! Das freut mich gar sehr – ich wollte nur, es gelänge mir auch mal, etwas für Dich zu finden, worüber Du jubeltest, welche Freude könnte mir das machen! – Du hast mir nicht geschrieben, welche Werke Du nun zum Druck gegeben?
Bitte, schicke mir Deine Begleitung des Chorals, ich finde sie jetzt unmöglich, wohl nie. Ich bin nun hier einstweilen auf einige Wochen eingerichtet, habe allerlei mit Elise, Julie etc. von hier aus zu ordnen, auch da recht Schweres. Musik mache ich gar keine, es gefällt mir nichts – ich muß mich manchmal fragen, ob ich denn noch die Künstlerin bin. Schicke Du mir doch mal wieder etwas, vielleicht kommt mir da am ersten das Gefühl wieder, dass ich es bin.
Leb wohl, liebster Johannes, ich kann nicht weiter, bin zu betrübt.
Schreibe mir recht bald wieder – Adresse: bei Fräulein Born, Königstraße. Für jetzt bleibe ich hier, im August gehe ich wohl auf einige Wochen auf Rigi, vielleicht stärkt die Luft dort doch meine Nerven und richtet mein Gemüt auf.
Herzinnig
Deine
Clara.
Deine guten Eltern grüße sehr. Sind sie nicht betrübt, daß Du von ihnen weggezogen?
Hier grüßt Dich alles, sie wünschen alle sehr, daß Du mir bald wieder schreibst!

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Kreuznach
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
Empfangsort: Hamm bei Hamburg
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
783ff.

  Standort/Quelle:*)
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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