23.01.2024

Briefe



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ID: 14112
Geschrieben am: Dienstag 17.09.1861
 

Bonn, den 17. September 1861.
Dein Brief, mein lieber Johannes, empfing mich in Godesberg, als ich am 13. nachmittags dort eintraf, und war mir der freudigste Willkomm, wie Du denken kannst, wenngleich es mir sehr leid tat, daß Du an eine Überraschung meinerseits gedacht hattest, eben darum, weil ich so viel mit diesem Gedanken umgegangen war, es aber nicht ermöglichen konnte. Da ist alles mögliche, was für diesen Monat noch all mein Denken und Schaffen in Anspruch nimmt. Fürerst muß ich nächste Woche den Ludwig zu einem Landgeistlichen nach Wissen bei Siegburg bringen, wo er vorläufig ein Jahr bleiben soll. Ich wollte dies gern selbst tun und auch ein paar Tage dort bleiben, um dem Jungen diesen Wechsel (statt Berlin) zu erleichtern und ihm einen freundlichen ersten Eindruck zu schaffen, als würde er z. B. abgeholt etc., ich möchte so wenig als möglich einem Gefühle von Bitterkeit, als wolle man ihn gegen Ferdinand zurücksetzen, Raum geben. Letzterer soll in der ersten Woche Oktobers nach Berlin – Marie wird mit ihm gehen, um nun ihren Hausmutter-Stand anzutreten, und Julie soll dann von Schönau kommen. Nun gibt es aber alle Hände voll zu tun, ich bin jetzt hier (bei Kyllmanns), um die Garderobe der beiden Jungen instand zu setzen, das kostet Zeit und Geld, mehr, als man vorher denkt. Dabei muß ich mir doch auch einen Winterplan feststellen, hier- und dorthin schreiben, kurz, ich kann nicht daran denken, eher als in der ersten Woche Oktobers zu Dir zu kommen, muß also noch eine Weile meinen Herzenswunsch bekämpfen. Hattest Du aber vielleicht die Idee, schon im Oktober nach Hannover zu gehen? Davon hatte ich keine Ahnung, und Joachim wußte auch nichts. Das bitte ich Dich, mir ja ganz offen zu schreiben; ich kann es mir sehr gut denken, daß Du, nachdem Du standhaft den ganzen Sommer in Hamburg ausgehalten, Dich nun nach einer Erfrischung, die Du ja an Joachims Seite mehr als irgendwo findest, sehnst, und wärest Du lieber schon bald in Hannover, so sag’ es mir ja, ich bitte Dich, liebster Johannes. Mein Plan war, 3–4 Wochen ruhig in Hamburg zu studieren, dann aber, also Anfang November womöglich, ein Konzert zu geben, um etwas zu verdienen, denn zuzusetzen habe ich nichts, brauche jetzt noch zu viel Geld und habe sehr viel gebraucht. Möchtest Du es aber lieber, so käme ich vielleicht auch nach Hannover? Dort kann ich auch etwas verdienen. J. J. kommt jetzt nicht nach Hamburg, denn er sehnt sich sehr nach Arbeit und wollte Hannover nicht verlassen. Wäre es nicht scheit, Du machtest jetzt noch eine kleine Harzreise und kämest dann im Oktober zurück? Bitte, schreib mir, wie Du es wünschest.
Mit dem Hotel Petersburg hast Du recht – vielleicht bleibe ich auch am liebsten dort, natürlich akkordiere dann ordentlich.
Wie sehne ich mich nach Dir, lieber Freund, und wie freue ich mich auf das viele Neue, die melancholischen Adagios – hättest Du mir doch schon eines geschickt – ich hoffte eigentlich etwas darauf. Für die Briefe Mendelssohns danke ich Dir im voraus sehr, ich tat hier einige Blicke hinein und bin ganz entzückt. Jedes seiner Worte führt ihn mir so lebendig vor die Seele. Da machst Du mir wirklich eine rechte Herzensfreude.
Unsere Berner Alpen-Reise war herrlich – wie tausendmal wünschte ich Dich im stillen herbei! Von dieser Natur kann man doch keine Beschreibung geben, es ist zu wunderbar, überwältigend und wohltuend zugleich. An einer Seite die mächtigsten Felsen, auf der anderen die lieblichsten Wiesen im herrlichsten üppigsten Grün – wie wunderbar, die schärfsten Kontraste immer in schönster Harmonie, welche Vollendung in solcher Schöpfung!
Ich will Dir aber jetzt Adieu sagen – antworte mir bald, damit ich weiß, wie und was?
Adresse: Frl. R. Leser, Düsseldorf. Ich gehe Donnerstag dorthin – Frl. Leser ist schon dort.
Manches hätte ich Dir zu erzählen, verspare mir aber lieber auf mündlich.
Sei gegrüßt wie immer von ganzer Seele
von Deiner Clara.
Marie grüßt Dich und die lieben Deinigen mit mir.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Bonn
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
Empfangsort: Hamm bei Hamburg
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
795ff.

  Standort/Quelle:*)
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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