23.01.2024

Briefe



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ID: 14117
Geschrieben am: Samstag 25.01.1862
 

Düsseldorf, den 25. Januar 1862. Sonnabend.
Lieber Johannes,
fürerst meinen Dank für Brief und Variationen.
Du siehst mich noch hier in Düsseldorf. Ich hatte das Mißgeschick, mir auf der Reise hierher einen so heftigen Rheumatismus im rechten Arm zu holen (ich hatte am Fenster mit dem Arm gesessen), daß ich ihn mehrere Tage kaum rühren konnte. Natürlich mußte ich die Konzerte in Bonn und Frankfurt abtelegraphieren. Wie hart mir dies war, kannst Du Dir denken, und um so fataler war es, als mein Verdienst bisher noch ein schlechtes war – ich habe ja nun fast diesen ganzen Monat verloren. Glücklicherweise ließ es sich in Frankfurt arrangieren, daß ich doch am 31. dort im Museum spiele. Ich habe am vergangenen Dienstag in Köln eine Soiree (Stockhausen sang) und am Donnerstag eine in Bonn gegeben – beide mit gutem Erfolg. Erst heute kann ich wieder selbst schreiben, denn das greift mich mehr an als Spielen. Gestern abend kam ich hierher zurück, heute ist mein Erstes, Dir zu schreiben.
Zum Faust bin ich, trotz meines verbundenen Armes, nach Köln gegangen und habe einen Genuß gehabt, so vollkommen, wie selten in meinem Leben. Dieses Werk wird meiner Überzeugung nach noch einmal seinen Platz neben den größten Werken überhaupt einnehmen. Der zweite Teil ist mindestens ebenso bedeutend als der dritte.
Selten habe ich aber auch einen so allgemein tiefen Eindruck bei einem neuen Werk gesehen, als bei diesem. Von der ersten bis zur letzten Note, welche Steigerung, nie ein Gefühl der Länge, und wie soll ich Dir die Klänge, die erschütterndsten, beschreiben? von vielem hat man doch keine Ahnung, hat man es nicht gehört, z. B. Ariel im Anfang des 2. Teils, der Sonnenaufgang, Fausts Tod und Vieles noch. Ich sende Dir einen Aufsatz von Bischoff (zufällig habe ich ihn hier), schicke ihn mir zurück, er gehört Frl. Leser. Stockhausen hat über alle Beschreibung herrlich gesungen. Leider machte Hiller am Schluß, und zwar aus Angst, das Publikum stünde auf, unmittelbar nach dem Schluß des Faust, die Leonoren-Ouvertüre, was auf alle einen ganz unangenehmen Eindruck machte. Es war wirklich schrecklich – er ließ kaum den letzten Akkord des Faust ausklingen. Ich hätte nie gedacht, daß ich diese Ouvertüre je anders als im höchsten Entzücken hören könnte, es war uns Musikern allen aber unmöglich.
Es war von Musikern alles aus der Umgegend da, sogar von weiter her Kirchner und Walter. Ihr wurdet allgemein vermißt, man wollte nicht begreifen, daß gerade Ihr bei diesem Werke fehltet.
Daß Du noch solche Freude an Deinen Quartetten gehabt, war mir sehr lieb zu hören, und daß Scholz nun doch endlich anfängt, Deine Musik zu schätzen. Grüße beide sehr von mir.
Wie war es in Münster? Gewiß habt Ihr da recht tolles Zeug getrieben.
Waret Ihr vom Orchester gut begleitet?
Was Du mir über Templer schreibst, hatte ich gerade kurz vorher ebenso empfunden. Am Schauspiel wirst Du aber nicht eben viel Freude haben, das kommt nicht entfernt dem Thaliatheater nahe. Das Schönste bleibt doch Joachims Quartettmorgen, diese wirst Du aber auch recht genießen. Ich muß so viel immer nachdenken über Joachims Plan, seine Stellung aufzugeben; er sollte es doch nicht tun. Drängt es ihn zum Schaffen, so kann er es bei der Stellung auch, er hat ja 5 Monate im Sommer und im Winter zwischen den Konzerten viel freie Zeit. Seine Stellung ist bei allen Abers doch eine der besten in Deutschland – was hat am Ende die Politik damit zu tun.
Wohl erwägen sollte er alles – sprich doch ernstlich mit ihm, ehe er es wirklich tut, was dann doch geschehen könnte.
Meine nächsten Pläne sind nun folgende:
Bis Dienstag bleibe ich hier, gehe dann zum Konzert nach Köln, von da Donnerstag nach Frankfurt, wo ich bis 4. Februar bleibe (Adresse: Md. C. Müller), den 5. Februar nach Karlsruhe (bei Frau Alwine Schroedter) bis zum 7., am 8. – 20. Basel (bei Herrn Riggenbach).
Meine Adressen hast Du nun alle – schreibe doch recht oft und recht bald – ich hoffe noch hierher bis Dienstag von Dir zu hören.
So sei denn herzlich gegrüßt
von Deiner
Clara.
An Joachim meinen Gruß.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Düsseldorf
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
Empfangsort: Hannover
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
817-821

  Standort/Quelle:*)
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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