23.01.2024

Briefe



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ID: 14118
Geschrieben am: Freitag 21.03.1862
 

Paris, den 21. März 1862.
Lieber Johannes,
Dein letzter Brief traf mich schon hier in Paris, ich wollte nun aber erst mal mein erstes Konzert hier vorüber lassen, ehe ich Dir schrieb, wollte Dir doch gern schon etwas Reelles berichten können, soweit wie man Publikum, Aufnahme, etwas Reelles nennen darf. Also gestern war denn meine erste Soiree, und ist dieselbe vortrefflich von statten gegangen, enormer Enthusiasmus schon gleich nach jedem Satz des Quintett, und so fort von Stück zu Stück. Sonnabend, d. h. morgen über 8 Tage, soll mein zweites Konzert sein, und am 6. April spiele ich im Conservatoir, was die Leute in einigen Aufruhr schon seit 8 Tagen versetzt, weil, wie sie sagen, höchst selten solche Ehre einem Künstler widerfährt, und dann nur, wenn er schriftlich darum einkommt. Nun, mich freut’s, und mit solchem Orchester zu spielen kann einem auch wohl gefallen. Neulich hörte ich ein Konzert im Conservatoir; es war technisch das vollendetste, was ich noch gehört, aber – kalt. Da ist alles auf Effekt berechnet, dem aber auch geopfert wird ohne alle Berücksichtigung oft der Komposition. Sie spielen oft ein ganzes herrliches Thema ohne alle Schattierung, alle Wärme, und heben dann plötzlich einen Akzent so heraus, daß das ganze Publikum „tuschiert“ ist; und , Cresc. und Dim. hört man aber wie nie wo anders; z. B. in der B dur-Sinfonie von Beethoven der Übergang im ersten Satz wieder ins Thema, das war so, daß es einen überrieselte. Den letzten Satz habe ich nie in einem solchen Presto gehört, und in welcher Vollendung! Die schnellen Sätze nehmen sie aber immer zu schnell, dann ist diese Passage, wo die Violinen sich zeigen können, dann wieder das Fagott in einer Presto-Tonleiter, und da wird nicht nach der Intention des Komponisten gefragt, wenn nur ein jeder in sein gehöriges virtuosisches Licht tritt. Die Variationen über das erste Volkslied von Haydn für Quartett spielten sie auch, aber so (es waren wohl an die 80 Streichinstrumente), daß es wie viere klang. Denke mal, was ließe sich wohl mit diesem Orchester machen, wenn da Feuer hinein käme! Da müßten die Wände erzittern und die Menschen umfallen – darum soll’s wohl auch nicht so sein! – Was ich Dir aber hier schrieb, das sage niemand, denn ein Zufall könnte es hierher tragen und mir großen Schaden bringen, denn das Conservatoir ist hier das musikalische Heiligtum, die Menschen sitzen darin mit einer Andacht wie in einem Tempel.
Wir haben auch sonst in dieser Riesenstadt so manches schon gesehen, Alceste neulich mit der Viardot, La Reine de Saba, eine kleine Oper von Grisar, Ballett etc. Von der Pracht der Szenerie kann man keine Beschreibung geben, es ist oft ganz zauberhaft, dauert aber immer 4–5 Stunden, vor Mitternacht hört es nie auf.
Die Lebensweise überhaupt ist fürchterlich, um 9 1/2 Uhr geht man in Gesellschaft, gegen 11 Uhr fängt man zu musizieren an, vor 1 Uhr selten ist man zu Haus. Lange hielte ich das nicht aus, vielleicht gar nicht, wäre ich nicht mit einer Herzlichkeit und Zuvorkommenheit von allen Seiten begrüßt, die mich wahrhaft erfreuen muß, und nun gar die Teilnahme, die man mir zeigt für Roberts Sachen, die viel bekannter hier sind, als ich es gedacht hätte. Fast alles ist hier gedruckt, sogar auch die 4händigen Sachen.
Stockhausen überraschte mich neulich hier, nachdem er zwei Tage zuvor von mir in Köln Abschied genommen. Er hatte eine Zahnoperation durchzumachen, blieb leider nur 8 Tage. Gib ihm, bitte, wenn er kommt, inliegende Zeilen . . . . .
Ich bin diesmal wieder mit Marie gereist, um Julie, welche von einer nervösen Abspannung, Folge der Reise, sehr angegriffen war, zu nen. Was Du mit dem Husten wolltest in Deinem letzten Briefe, verstand ich nicht. Ich war ja immer sehr ängstlich deswegen und ließ sie, trotz aller Bitten, deshalb beinah zwei Jahr schon keinen Ton singen. Aber zu der Reise hätte ich mich nicht erbitten lassen sollen, die hat ihr sehr geschadet. Doch es ist nun einmal geschehen, und ich bin um eine Erfahrung reicher, freilich auch um eine große Sorge! –
Deiner Mutter Unglücksfall hat mich aber sehr erschreckt! Gott sei Dank, daß sie wieder geheilt ist. Grüße sie doch alle bei Dir sehr herzlich.
Von Deiner Oldenburger Fahrt schreibst Du mir wohl bald? sie war gewiß vergnügt!
Eben kommt ein Brief von Joachim – neulich schrieb er mir schon einmal, ob ich nicht nach England kommen wolle etc. Ich weiß noch nicht, was ich tue, muß es erst hier noch eine Weile abwarten. Vom König hat er noch keine Antwort.
Wer hat denn Deine Serenade in Neuyork aufgeführt? Nächster Tage will ich ins Louvre, Marie war schon da – es muß wundervoll sein, die Murillos und Raffaels alle! auch viele Rubens und Van Dyks!
Ich glaube, jetzt habe ich Dir ziemlich alles, was Dich interessiert und nicht interessiert, mitgeteilt, und bitte Dich schließlich nur noch, Friedchen und Avés herzlich von uns zu grüßen. Bis zum 7. April bin ich jedenfalls hier. Adresse: 16, Rue d’Antin, Hotel des états unis.
Leb wohl, lieber Johannes, und schreibe bald
Deiner
Clara.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Paris
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
Empfangsort: Hamm bei Hamburg
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
821-825

  Standort/Quelle:*)
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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