23.01.2024

Briefe



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ID: 14124
Geschrieben am: Donnerstag 18.12.1862
 

Berlin, den 18. Dezember 1862.
Lieber Johannes,
Mariens Sendung des Geldes wirst Du erhalten haben – es tat mir so leid, daß ich nicht selbst dazu schreiben konnte – in Leipzig aber muß ich zu ’nem Briefe wahrlich eine Nachtstunde nehmen, sonst geht es nicht.
Gestern bin ich hier wieder angelangt, nachdem ich noch in Breslau gespielt, und nun will ich Dir aber gleich sagen, wie sehr Dein Quintett mich wieder erfreut hat; ich finde den letzten Satz prächtig, das Ganze beschließend, voller Schwung, die Introduktion gar schön, das 2. Motiv als Gegensatz des ersten so wohltuend, und in der Durcharbeitung wieder so geistvolles Ineinandergreifen aller Motive, kurz, eben ganz meisterlich. Könnte ich es nur erst ’mal hören, denn das Spielen so mühsam am Klavier genügt so gar wenig. Hast Du es denn in Wien gehört? Schickst Du nicht die Stimmen an Joachim? Tue es doch, dann könnte ich es doch im Januar, freilich müßte es in den ersten Tagen des Januar sein, hören. Joachim ist, wie Du wissen wirst, am 10. in Hannover eingetroffen.
Das Quartett habe ich gleich von Leipzig aus an Simrock geschickt. Ich konnte es dort nicht spielen, denn erstlich war der Cellist (ein Konservatoir-Schüler – sie haben jetzt keinen) so mittelmäßig, daß mit ihm solch schweres Stück fast unmöglich war zu riskieren, und hätte man es dennoch wagen wollen, so hätte mindestens von seiten der Ausübenden etwas Liebe zur Sache da sein müssen, N. zeigte aber beim Durchspielen solch eine fatale Art, sich zu gebärden, daß ich davon abstand, und aufdrängen muß man solchen nichts wollen, was man liebt und hochstellt – so einer hängt sich an die Stellen, die etwa hart erscheinen, ordentlich fest, unsereins nimmt sie mit hin und freut sich doppelt am anderen. Soll ich übrigens offen sein, so wünschte ich doch einiges in dem Quartett fort, z. B. das Trio des reizenden Allegretto; so sehr mir auch die Intention gefällt, so kann ich es als Musik doch nicht genießen, und so verschiedenes noch. Doch wozu das – es wird ja nun gedruckt.
Bagge hat mir sehr Erfreuliches über Dein Konzert erzählt, und namentlich, wie schön Du gespielt – nun, das weiß ich besser noch wie er. Wie kommt es aber, daß Du nichts von Schubert gespielt, dort, wo die Wiege seiner Schöpfungen? Gibst Du denn Stunden? Und zu welchem Preise?
Verkehrst Du viel mit Lewinsky? Den möchte ich gern recht herzlich gegrüßt haben, sonst auch bestens Julie Asten. Andere meiner Bekannten siehst Du wohl nicht.
Mit Deinen Eltern habe ich von der Direktionsgeschichte in Hamburg gar nicht gesprochen; da sie nie etwas äußerten, so wollte ich nicht voreilig sein, sie vielleicht auf etwas bringen, woran sie nicht dachten, und was sie schließlich doch gekränkt hätte. Nun, sie mögen es gewußt haben oder jetzt erst erfahren, so viel kennen sie mich doch, daß sie wissen müssen, ich kann daran keinen Teil haben, im Gegenteil habe ich mich nicht gescheut, Stockhausen selbst meine wahre Meinung zu sagen. Er äußerte mehrmals, wenn Du nur ja auch wieder nach Hamburg kommest etc. Hätte er nicht erst mit Dir darüber offen sprechen sollen, ehe er auf irgendetwas einging? Daß er in Hannover den Faust einstudieren soll und deshalb 6 Wochen dort bleiben will, weißt Du wohl? Das kann ja recht gut werden, aber hätte er da nicht auch erst mit Joachim verabreden müssen? Mir erscheint das rücksichtslos, doch vielleicht habe ich unrecht.
Ich bleibe jetzt bis zum 3. Januar hier, dann habe ich Engagements in Holland und am Rhein. Meine sichere Adresse ist vorläufig hier „Schöneberger Ufer Nr. 22“, für den ganzen Januar dann bei Frl. Leser, bei der ich immer Station machen werde.
Schließlich noch meinen Dank für das Notizbüchlein, und herzlichen Gruß und alle guten Wünsche für Dich.
Deine
Clara.
NB: Soll ich das Quintett Dietrich schicken oder etwa lieber Joachim? Hast Du von Simrock Honorar bekommen?

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Berlin
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
Empfangsort: Wien
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
860-863

  Standort/Quelle:*)
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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