23.01.2024

Briefe



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ID: 14125
Geschrieben am: Sonntag 14.06.1863
 

Baden, den 14. Juni 1863. Lichtenthal Nr. 14.
Lieber Johannes,
das ist ja prächtig, was ich soeben aus sehr zuverlässiger Quelle gehört, daß Du in Wien eine Stelle erhalten! Da will ich nicht säumen, Dir zu sagen, wie sehr mich das freut, denn ist es auch eben keine brillante Stellung, so doch ein Anfang, der bald Besseres nach sich zieht, und nun bist Du doch an eine Stadt gefesselt, die Dir, hoffe ich, lieb geworden, und wo es sich ganz gut leben läßt. In Hamburg wäre jetzt für die Dauer kein angenehmes Sein für Dich gewesen, ein gewisses bitteres Gefühl würde Dich oft beherrschen – und so gehe denn alles recht nach Deinem Wunsche. Näheres, wenn Du die Stelle antrittst, was sie trägt, welches Deine Wirksamkeit, das höre ich wohl bald von Dir?
Es tat mir recht leid, daß Dein Brief gar nicht vergnügt lautete, das alte liebe Hamburg Dich gar nicht mehr befriedigte, doch sah ich dies voraus, nachdem Du das Leben in Wien kennen gelernt, das eben doch ein weit anregenderes künstlerisch ist.
Von mir kann ich Dir soweit Gutes sagen, mein Häuschen ist denn endlich jetzt im Stande, klein, aber reizend gemütlich, dazu unser ganzer Hausstand jetzt ’mal so recht nach meinem Sinn geordnet; jedes der Kinder (der Großen) hat sein Departement, und da muß denn alles an der Schnur gehen, und ich habe mich ganz gut wieder hineingefunden, die Augen auch wieder überall in der Wirthschaft zu haben, obgleich natürlich nicht mit der Freudigkeit wie ehedem, wo es galt, meinem Robert alles recht behaglich zu machen. Ich tue es aber, weil ich den Kindern dadurch das Haus angenehm mache, sie alles mit mehr Lust tun. –
Die wundervolle Natur kennst Du ja, mein Haus wirst Du aber kaum bemerkt haben, da es das kleinste unter allen ist, von außen fast wie ein Bauernhäuschen, im Innern freilich nicht – ich habe drei Flügel, also genug Platz.
Neulich habe ich eine kleine Gesellschaft gegeben, wo es ganz gemütlich war; Madame Viardot und ich spielten Trios, dann sang sie etc. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Du wirst jetzt von Hannover zurückgekehrt sein! Wieviel habe ich an dem Mittwoch dahin gedacht, mit welch innigen Wünschen an den teuern Joachim. Es ist eigen, gilt es das Lebensglück eines geliebten Menschen, wie mächtig fühlt man da die Liebe für ihn! – So ist’s mir die ganze Zeit her gegangen, ich mußte immerwährend an ihn denken, und daß er nur recht glücklich werde, war mein stetes Bangen und Hoffen. Nun, den Anschein hat es ja! –
Um Deine 4händigen Variationen und Quartett bitte ich Dich, und, hast Du sonst Neues komponiert, auch das, ich sende es Dir zur bestimmten Zeit zurück.
Was denkst Du denn diesen Sommer zu beginnen? Hast Du Dich wirklich in Blankenese eingemietet? Fühlst Du Dich dort behaglich? Wohl kenne ich es, wir waren ja ’mal mit dem Frauenverein da, wo wir dann in den umliegenden Gärten sangen, Du von einem Baumstamm herab dirigiertest – es war eine reizende Partie. . . . . . . .
Einige Deiner Fragen habe ich noch nicht beantwortet. Von Spinas Geschenk wußte ich nichts, wohl aber von den anderen, und freue mich sehr darüber, wer verdiente diese wohl mehr als Du! – Den Erlkönig und das Duo besitze ich. – Von meinem Bruder wüßte ich gern etwas, Gänsbacher schrieb nicht an mich, . . . . .
Levi kenne ich auch als einen recht liebenswürdigen und talentvollen Menschen. Er hat eine schöne Stellung, d. h. für den, der gern mit Theaterleuten zu tun hat.
. . . . . Julie ist seit 4 Wochen zurück und erzählt uns oft entzückt von Nizza, ist recht heiter, jedoch der Husten derselbe, und was mir mehr Sorge macht als dieses, sind zuweilen Anfälle von Starrkrampf, wo sie dann einige Stunden unbeweglich liegt. Es kommt höchst selten, alle 5–6 Wochen etwa, ist aber doch da.
Sie muß sehr, namentlich vor Gemütsbewegungen, in acht genommen werden. Die Ärzte stimmen alle darin überein, daß der Husten rein nervös sei, Brust und Lunge ganz gesund, und von den Nerven und Neigung zu Bleichsucht diese Anfälle herrühren. Gott gebe, daß es sich bessere, was in meinen Kräften steht, tue ich gewiß.
Ludwig kommt öfters herüber und, so ganz eigentümlich er ist, so macht er mir doch Freude durch Fleiß und seinen vortrefflichen Charakter, der sich häufig in kleinen Zügen kundgibt.
Recht fleißig im Spielen war ich die letzte Zeit, d. h. seit 14 Tagen, wo ich erst mit den vielen Geschäften zu Ende kam, und die Stunden am Klavier sind mir jetzt die liebsten. Bald erwarte ich und hoffentlich auf längere Zeit Kirchner, worauf ich mich sehr freue, da werden wir wohl viel zusammen musizieren.
Deinen Eltern sage recht schöne Grüße von mir, hoffentlich sind sie wohl? Du bewohnst wohl immer Dein Stübchen mit Fritz zusammen, wenn Du in der Stadt bist? Grüße doch auch Friedchen, die gewiß Deine Anwesenheit recht genießt.
Und so denn – noch ein Lebewohl Dir, lieber Johannes.
In immer alter Treue
Deine
Clara.
NB.: Hast Du nicht ein Exemplar Deiner Händel-Variationen? Ich hatte mir sie von Härtel schenken lassen, mußte sie aber in Paris Mad. Szarvady schenken, die mir klagte, Du habest sie ihr nicht geschickt, worum Dich zu bitten ich ihr vor 2 Wintern versprochen hatte, was ich auch getan habe, Du aber wohl vergessen. Ich hätte sie so gern wieder.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Baden-Baden
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
Empfangsort: Blankenese bei Hamburg
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
866-871

  Standort/Quelle:*)
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 

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