23.01.2024

Briefe



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ID: 14127
Geschrieben am: Sonntag 18.10.1863
 

Düsseldorf, den 18. Oktober 1863.
Lieber Johannes,
Du hättest auf Deine freundliche Sendung neulich schon eher Antwort gehabt, wäre ich nicht gar so sehr in Anspruch genommen – es ist wirklich fast zu viel, was jetzt auf mich losstürmt! Die Konzert-Korrespondenzen sind endlos, dazu muß ich doch auch fleißig studieren, und leider, möchte ich sagen, nimmt meine Gewissenhaftigkeit auf peinigende Weise zu, mir ist immer bei jedem Stück, als wenn ich es erst recht anfangen müßte zu studieren. Ich bin hier seit 10 Tagen, nachdem ich mein Häuschen ganz zugeschlossen, was mir gar nicht leicht wurde. Julie ging nach Gebweiler für 3–4 Wochen, dann kommt sie zu Bendemanns, Elise ist für den Winter wieder in Gräfenbach, und nächste Woche geht meine Wanderung an; Aachen macht den Anfang, dann kommt Frankfurt vom 23. Oktober bis Anfang November, dann mache ich wohl einige kleinere Abstecher, am 13. November spiele ich in Hamburg, wo ich am 10. oder 11. fen denke, dort folgt wohl dann noch eine Soiree, vielleicht auch eine solche in Lübeck, Ende November Hannover, Braunschweig, Anfang Dezember Leipzig etc. etc. Das ist denn so ohngefähr mein Lebenslauf – gebe der Himmel, daß alles wohl gelinge, denn der Anstrengungen sind große, die Kräfte gar nicht besonders.
Von München hat Dir wohl Julie Asten und Hanslick viel berichtet! Es war doch nur teilweise, da aber auch sehr schön; doch bei solchen Gelegenheiten zwingt man sich auch zu manchen Genüssen, die dann eben keine mehr sind. Der größte Fehler des Festes war das „Zuviel“! Welcher Musiker hört wohl ein dreistündiges Konzert (am 3. Tag war es sogar ein vierstündiges) von Anfang bis Ende mit gleicher Frische?
Noch bin ich nicht dazu gekommen, was die Hauptsache, Deinen Rinaldo! Da muß ich Dir doch sagen, daß ich denselben mit gleichem Genuß wie in Baden durchgesehen – es ist ein prächtig lebensvolles Stück, außerordentlich dramatisches Feuer, so durchweg interessant, immer fesselnd – es muß große Wirkung machen, vorausgesetzt freilich, daß Du sehr kräftige Tenöre hast; diese machen mir etwas Angst, sie liegen oft enorm hoch. Der Schlußchor folgt wohl nun bald? Joachim hat in München auch ’mal mit hineingesehen und sich gefreut, er erinnerte sich übrigens sehr genau des Werkes und zeigte mir noch manche schöne Stelle, die ich übrigens auch selbst schon gefunden hatte. Ich sende es Dir mit diesem zurück und lege Dir die zwei von Simrock erbetenen Quartette mit bestem Danke für Dein mir durch Joachim übersandtes Exemplar bei. Die Titel sind aber miserabel, der Druck überhaupt nicht eben schön. Du findest dem Paket ein Blättchen beigelegt, woraus Du Genaueres über den Verlag der Chopinschen Werke ersiehst. Die kleine Ausgabe ist nicht komplet, die große, trotz 2/3 Rabatt, noch sehr teuer, 100 Franken (26 Tlr. 20 Sgr.), die nachgelassenen Werke 17 Franks (4 Tlr. 6 Sgr.), zusammen 31 Taler.
Willst Du denn Konzerte, Trio, Sonate mithaben? Oder nur Klaviersachen? Sag mir genau, was Du willst, gern besorge ich es Dir. Ich meine aber, wenn Du Dir eine so große Ausgabe machen willst, so gäbe es noch Lieberes.
Für die Hexen-Variationen noch meinen ganz besonderen Dank – ich habe sie mit großem Eifer zu studieren angefangen, zum öffentlich Spielen◊3 aber scheinen sie mir doch nicht zu passen, die Kombinationen sind zu überraschend, für den Laien das erstemal ungenießbar. Ich glaube, es müßten einige harmonisch einfachere dazwischen kommen, man (der Zuhörer nämlich) käme dann mehr zur Ruhe. Überlege das doch ’mal: die 3., 5., 6., 10., 17., 18. und 19. sind meine besonderen Lieblinge – manche andere werden es noch werden, wenn ich sie erst schön spiele.
Meine Adresse: vom 23. Oktober bis 4. November Frankfurt a/M. bei Herrn Dr. Aloys Schmitt, Taunusstraße Nr. 6. Vom 10. November an in Hamburg, Hotel de Petersburg. Laß mich doch bald hören, wie Dein Gesangverein sich gestaltet und Dein Direktionstalent sich entfaltet?
Am 15. November werde ich Deiner gedenken – möge Dir alles recht glücken.
Nun leb wohl und froh, und sei herzlich gegrüßt von
Deiner
Clara.
Grüße an Julie Asten, und ich lasse sie bitten, den Brief an die Zamoiska zu besorgen.
Hier grüßen Dich alle.
Du hast doch meinen Brief vom 21. September erhalten? Er hatte sich mit Deiner Sendung gekreuzt.
Noch ein P. S.
Ich vergaß, Dir mitzuteilen, daß es Dietrich wieder viel besser geht, der Arzt hofft, ihn in drei Monaten ganz wieder herzustellen, freilich schonen müßte er sich jahrelang noch. Traurig genug ist das.
. . . . . . . Das erste Konzert soll Stockhausen dirigieren, was nachher, weiß man noch nicht.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Düsseldorf
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
Empfangsort: Wien
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
876-881

  Standort/Quelle:*)
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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