23.01.2024

Briefe



Rückwärts
	
ID: 14129
Geschrieben am: Mittwoch 20.01.1864
 

Hamburg, den 20. Januar 1864.
Nun habe ich meine schönen Weihnachtsgeschenke, dazu Deinen lieben Brief, das Konzert ist auch vorüber, und so ist es denn heute mein erstes, Dir, lieber Johannes, herzlich für alles zu danken. Die Bücher werde ich mit mir nehmen und freue mich schon darauf. Den Shakespeare gebe ich nicht wieder her, was denkst Du? Abgesehen von allem, werde ich doch ein Geschenk nicht zurückgeben, nun macht mir dies aber noch obendrein Vergnügen, und erst recht, da ich weiß, Du hast den schönen Einband nicht teuer erkauft. Die Duette begrüßte ich als alte Bekannte, nur aufs dritte besann ich mich nicht.
Mit der Äußerung in Deinem letzten Briefe, Du seiest neidisch, daß ich zum 2. Male diesen Winter hier, war es Dir doch wohl nicht ganz Ernst? Jetzt komme ich der Musik halber nach Hamburg und bleibe so lange als nötig, früher kam ich Deinetwegen und blieb so lange als möglich! Das hast Du doch nicht vergessen?
Das musikalische Leben hat nun allerdings einen großen Aufschwung genommen durch Stockhausens unermüdliches Arbeiten, denn harte Arbeit hat er, namentlich mit dem Chor, wobei es nicht den Damen, aber den Herren sehr an Stimme und gutem Willen (d. h. was den Besuch der Proben betrifft) gebricht. Deine Sache wäre ein solches Einstudieren nicht, wohl kaum irgendeines schaffenden Künstlers, Mendelssohn ausgenommen. Schön war es aber gestern, und Du möchtest wohl bei der Schlußszene aus Faust einige Wonne empfunden haben, denn es war, was Chor und Orchester betraf, so vollendet, wie ich es nur je gehört! Die Soli waren von Dilettanten besetzt, dafür ganz gut, Stockhausen sang aber göttlich schön, so durchgeistigt jedes Wort und jeder Ton, daß mich’s immer durchschauerte. Ich dachte recht Deiner und wie ich es Dir zu hören wünschte. Nach dem Konzert waren Stockhausen, Rudorff, der sein erstes Debüt als Dirigent sehr gut bestanden, Rose und Friedchen bei mir, und da ließen wir Dich bei Rheinwein leben. Vielleicht hast Du’s gefühlt!
Heute wollen wir Dein A dur-Quartett studieren – ich möchte gern, daß die Herren es ’mal ordentlich hörten und lernten. Morgen reise ich nach Berlin ab, bleibe dort 2 bis 3 Tage, dann gehe ich nach Königsberg, Riga und Mitau zu Konzerten – bis zum 8. Februar hoffe ich in Petersburg zu sein. Nach Wien habe ich mir nächsten Winter zu gehen vorgenommen, und dann auf 2–3 Monate. Petersburg möchte ich nicht aufgeben, möglicherweise, wenn alles glücklich geht, kann ich doch ein paar Tausend Taler erübrigen und dann dem nächsten Sommer mit mehr Ruhe entgegensehen. Den vorigen Sommer hatte ich der pekuniären Sorgen viele, ich habe von meinem Kapital 1 000 Taler aufnehmen müssen, habe aber das Glück gehabt, durch mein freilich enorm anstrengendes Konzertieren vor Weihnachten, diese Summe wieder ergänzen zu können. Nun muß ich also an weiter denken, und vielleicht lohnt sich der schwere Entschluß, denn wahrlich, schwer wird mir diese Reise, und mein Gemüt ist oft recht traurig. Ich fürchte nicht die Anstrengungen, aber krank werden und sterben im fremden Lande!
Mit Joachim wirst Du schöne Zeit in Wien verleben, da wird’s Dir recht heimatlich werden! Willst Du denn nicht mit ihm Soireen geben? Ich habe das vorausgesetzt, darum gar nicht für mich daran gedacht. Tue es doch ja, das wäre ja so schön! – Ich hörte jetzt in Hannover die Neunte, das war auch ’mal ein Genuß, den man sein Lebtag nicht vergißt. Wir gedachten auch da und nachher beim Glase Champagner Deiner. Grimm war auch von Münster gekommen. Er sehnt sich dort fort.
Von Dietrich kann ich Dir recht Gutes sagen; er ist fast hergestellt und darf alle Tage sogar bei dem Arzte, bei dem er noch bis Ostern bleiben soll (der Arzt wünscht nicht, daß er nach Oldenburg kommt, bevor die Konzerte, von Sahr jetzt dirigiert, zu Ende sind), einige Theoriestunden geben. Sein Zustand hat sich wirklich als bloße nervöse Überreizung herausgestellt, die aber allerdings einen hohen Grad erreicht hatte. . . . . . Was ich für die arme Frau empfunden, kannst Du Dir denken, und eine Zeitlang konnte ich kaum anderes denken. Sie ist jetzt aber ganz beruhigt, und man tut in Oldenburg was man kann für sie, dabei benimmt Sahr sich wahrhaft freundschaftlich gegen sie und die Kinder. Mit seinem Dirigieren wollte es erst nicht gehen, weil er so nervös ängstlich war, doch jetzt soll’s auch besser gehen.
Über dein 2. Konzert hörte ich leider, daß es nicht gut gegangen sei, daß Ihr nicht genug studiert hattet – warum verschobst Du es nicht? Dann hörte ich, Du habest so alte Kirchensachen gemacht, die die Leute in Wien nicht möchten – ist das wahr? Du hast doch gewiß auch anderes gegeben, und ein oder zwei so alte Stücke könnten sie sich wohl gefallen lassen! Über die schöne Aufnahme Deines Sextetts hörte ich mit Freuden. Warum sandtest Du gar kein Programm? Tue es doch das nächste mal, ich sehe sie immer gern.
Wie steht’s denn mit Rinaldo? Was komponierst Du sonst? Hast Du gar nicht wieder an die Symphonie gedacht? Julie Asten sage doch, daß ich mit der innigsten Teilnahme von ihrem Unglück gelesen, sie soll sich aber nicht beunruhigen wegen der Engagements, die bleiben ihr für nächsten Winter, und übrigens ist die Zeit jetzt für den Anfang einer jungen Künstlerin gar nicht günstig, denn die Leute haben den Kopf gar zu voll von der leidigen Politik. Man geht in die Konzerte, genießt aber wirklich nur momentan, und das macht einer Künstlerin noch keinen Ruf.
Jetzt ist nun auch amerikanischer Schwindel zu uns herübergekommen – Patti – Jaell, Laub, Kellermann-Konzerte – ich glaube nicht, daß die Deutschen so zu gewinnen sind, doch freilich, möglich ist alles.
Von meinen Kindern kann ich Dir Gutes sagen, sie sind alle wohl, auch Julie recht gekräftigt, jetzt bei Bendemanns, was mich sehr beruhigt, denn der Aufenthalt im Elsaß war in gewisser Hinsicht doch nachteilig, sie wurde ganz und gar ihren eigentlichen Verhältnissen entzogen – verzogen furchtbar, und jetzt ist’s ganz anders.
Nun geht aber alles zu Ende, und es wird unruhig im Zimmer, so will ich Dir denn Lebewohl sagen, lieber Johannes.
Meine Adresse ist bis zum 8. Februar sicher bei Frl. Leser, von da an: „Petersburg bei Frau Stein in der Kirotschnaya, im Hause der St. Annenkirche, Quartier Nr. 25.“
Marie erwidert freundlich Deinen Gruß.
Gedenke zuweilen meiner.
Herzlich Deine
Clara.
Grüße doch bei Gelegenheit Frl. Bettelheim – ein liebes, intelligentes Mädchen schien sie mir.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Hamburg
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
Empfangsort: Wien
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
886-891

  Standort/Quelle:*)
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 

Fehlerbeschreibung*





Wir verwenden Cookies, um Ihnen den bestmöglichen Service zu gewährleisten (Mehr Informationen).
Wenn Sie auf unserer Seite weitersurfen, stimmen Sie bitte der Cookie-Nutzung zu. Ich stimme zu.