23.01.2024

Briefe



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ID: 14139
Geschrieben am: Donnerstag 22.12.1864
 

Düsseldorf, den 22. Dezember 1864.
Möchte mein Gruß Dir, lieber Johannes, wie ein freundlich warmer Strahl scheinen in die Einsamkeit, die wohl ein jeder am Weihnachtsabend in der Fremde empfindet! Und nun gar, wenn er nicht ’mal freudig nach Hause denken kann, wie Du jetzt! – Beifolgende Quartette machen Dir hoffentlich eine kleine Freude – Du hast sie Dir ja gewünscht. Wo magst Du wohl den Abend verbringen? Allein zu Haus doch nicht? –
Ich werde ganz still zu Hause bleiben, zu Bendemanns will ich den Abend nicht wieder. Ich werde der manchen schönen vergangenen Weihnachten denken und was mir noch Liebes geblieben.
Seit vorgestern bin ich wieder hier und zwar sehr erkältet – wir haben von Schwerin nach Hannover eine schlimme Reise bei großer Kälte gehabt, mußten über die Elbe bei Lauenburg durchs Eis mit zwei Lokomotiven mit 150 Pferdekraft, das war entsetzlich, dann hatten wir noch eine 5stündige furchtbar kalte Fahrt. Wir wurden aber in Hannover reich entschädigt! Es war zum 17. Beethoven-Feier, ein Konzert für Götter. Coriolan-Ouvertüre, das Violinkonzert, das man heute Konzert für Violine und Orchester nennen konnte, denn es wurde so wunderbar schön begleitet, wie ich nie etwas gehört, – schließlich die .Symphonie, die eben auch so gespielt wurde, daß man an keine Schwierigkeiten mehr dachte, nur in vollen Zügen genoß. Wie hätte ich Dir diesen Genuß gegönnt, ich glaube nicht, daß Du dies alles jemals so gehört! – Es war ein großer Zusammenfluß von Musikfreunden da, z. B. auch Jahn von Bonn, Grimm von Münster, mit dem ich dann bis Hamm gereist bin, Rudorff von Berlin und viele noch. Am Sonntag morgen gab es dann noch herrliche Beethoven-Quartette, die ich leider nicht ganz ungetrübt genoß, da ich mich sehr unwohl fühlte.
Joachim war sehr vergnügt und ist reizend mit seinem kleinen – ? Er wird noch nicht genannt, weil sich Joachim zu keinem Namen entschließen kann! Er will den König nicht beleidigen, will sich aber auch nicht zu dem Namen Georg entschließen, dagegen wir alle uns empören, nun meint er, er brauche ihn ja einstweilen gar nicht zu nennen. Da hinein finde ich mich aber nicht, es ist einem doch ein freudiger Moment, wenn man das Kind zuerst nennen kann, und begreife ich nicht, wie man sich selbst um dies Gefühl so lange betrügt. Das ist aber wohl recht dumm von mir! – Bist Du denn eigentlich Pate? Ich hörte, es habe nur der treter des Königs gestanden. In der Grünschen Angelegenheit ist noch immer nichts geschehen – der König schweigt, und Joachim wartet. Ich glaube aber, er bleibt auf alle Fälle, das herrliche Orchester hält ihn.
Ich hoffe, ich höre dieser Tage auch von Dir? Und was Du schaffst? Wie es mit dem Quintett steht?
Von Levi hatte ich Brief mit Grüßen für Dich, und ich soll Dir sagen, wie er Dich verehre und liebe, doch, daraus machst Du Dir ja nichts, aber, daß er eine neue Kaffeemaschine, ein zweites Bett und gute Zigarren jetzt habe.
Er schreibt unter anderem sehr empört über neue Gemeinheiten Schuberts mit Roberts Werken, und ich solle Dich und Joachim fragen, ob Ihr zur Aufklärung über vieles der Art Euren Namen hergeben wollt? Ich denke, wir sprechen bald darüber; so lange soll er noch warten mit einer Eingabe der Sammlung aller Verunglimpfungen an Bagge, die er vorschlägt. Und nun zu Wien – wann sehen wir uns? Wüßte ich es nur erst genau, aber es stellt sich immer noch allerlei dazwischen, und kaum werde ich vor Mitte Februar dort eintreffen. Willst Du nun so gut sein und mit Gotthart (oder wie er heißt) bei Spina sprechen, ob man mir nicht drei Donnerstage abends von Mitte Februar an belegen will? Ich hörte von Julie Asten, daß Laub die Donnerstage hatte, Mitte Februar aber mit seinen Quartetten fertig ist; da könnte ich doch die darauffolgenden Donnerstage belegen? Es wäre doch gut, die Tage jetzt schon zu nehmen. Ich habe einen Vorschlag für ein Logis, das mir recht annehmbar erscheint; es ist das beim Hofschauspieler Joseph Wagner, Kärntnerstraße Nr. 19, 4. (!!!) Stock. Diese wollen mir zwei sehr bequem eingerichtete Stuben überlassen und sollen sehr geachtete Leute sein. Ich will nächstens an die Frau schreiben und Dir den Brief schicken, wärst Du wohl so gut, denselben hinzubringen und dabei zu sehen, wie Dir die Leute und das Logis gefällt? Vielleicht zeigt Dir Frau Wagner die Zimmer – ich wüßte gern, ob sie behaglich und nicht furchtsam sind (ich meine ich in den Zimmern). Bitte, tu mir den Gefallen! Ich werde nun Anfang Januar (den 5.) nach Berlin gehen, gebe dort am 7. und 14. Konzerte mit Stockhausen, dann am 16. eine Soiree in Hannover, von da vielleicht nach Oldenburg, wo ich neulich wegen der Erkältung abschreiben mußte, und dann Leipzig, Dresden, Prag – Wien.
Wäre es schon so weit, und ich hätte all das schon hinter mir. –
Ich hätte so manches noch zu sagen und zu plaudern, doch mündlich tut sich das so viel gemütlicher, und nun gar bei einer guten Kaffeemaschine!
Sag mir bald recht viel von Dir (Adresse bis 5. Januar hier, vom 6. – 15. Berlin, bei Herrn Franz Mendelssohn in der Jägerstraße) – von hier Frl. Leser, Jungé, Marie schönste Grüße an Dich, mein lieber Johannes, die wärmsten aber von mir,
Deiner getreuen
Clara.
P. S. Ich habe die Briefe mit hierher genommen, und willst Du es nun, so bringe ich Dir alles mit? Oder glaubst Du die Sachen sicherer bei mir in Baden, so nehme ich sie im Frühjahr mit dorthin?

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Düsseldorf
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
Empfangsort: Wien
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
952-955

  Standort/Quelle:*)
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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