23.01.2024

Briefe



Rückwärts
	
ID: 14141
Geschrieben am: Mittwoch 08.02.1865
 

Köln, den 8. Februar 1865
Mein lieber Johannes,
so wäre denn wirklich der Augenblick gekommen, wo auch Dir der große Schmerz werden sollte, den Du so oft schon gefürchtet. Du kannst Dir denken, wie tief mich die Nachricht betrübt, und könnte ich meinem Herzensdrange folgen, eilte ich zu Euch – es ist so hart, in solcher Zeit Freunden nicht zur Seite stehn und seine Teilnahme betätigen zu können. Ach, wie betrübt es mich, daß die Erinnerung an Deine gute Mutter für Dich durch die letzte unselige Zeit zu einer so traurigen werden mußte, und doch hoffe ich, daß diese, wie die Natur es ja immer so gütig einrichtet, in den Hintergrund gedrängt und früherem Schönerem Raum geben wird.
Die arme Elise! Für sie ist der Verlust am allertraurigsten, und denke ich fortwährend daran, wie man ihr erleichternd über die erste Zeit hinweghelfen könnte. Wäre es Sommer und wir in Baden, sie müßte gleich zu uns – das wäre gewiß wohltuend für sie. – Sag mir doch, ob ich Euch irgendetwas tun kann? Könnte ich Euch durch meine Gegenwart in Hamburg etwas erleichtern? Gern komme ich. – Es gibt doch gewiß recht viel zu ordnen?
Zieht Elise nicht mit Fritz zusammen? Behält sie das Logis? Tue mir die Liebe und schreibe mir gleich wieder, denn es beunruhigt mich so sehr, bis ich erst wieder Näheres von Dir weiß.
Daß Du erst heute von mir hören konntest, ersiehst Du aus der Überschrift; ich war gestern hierher gegangen, um endlich einmal meine Sehnsucht nach Musik zu befriedigen. Ich hatte fast 4 Wochen lang (so lange ist’s, daß ich den Unfall hatte) keinen Ton gehört. Wohl hast Du recht, daß man Gott danken muß, wenn einem nicht Schwereres, Unheilbares widerfährt, – wer wüßte das wohl besser als ich – und ich denke, in diesem Sinne habe ich den Unfall auch geduldig genug getragen, aber hart ist es doch, wochenlang mit sonst gesundem Körper untätig sein zu müssen, und dann waren die Verluste groß genug, um sich Sorgen zu machen.
Über die nächste Zeit kann ich Dir doch noch nichts Bestimmtes sagen; erst seit gestern darf ich die Hand wieder etwas bewegen; diese Woche soll ich noch einige Tierbäder gebrauchen und dann Anfang nächster Woche wieder leise zu spielen versuchen. Im günstigsten Falle dauert es doch wenigstens noch 14 Tage, ehe die Hand gänzlich hergestellt.
Bitte, sage Elisen recht viel Liebes von mir, sag’ ihr, wie tief ich mit Euch den großen Verlust empfinde, und, könnt Ihr mich brauchen, so bin ich mit tausend Freuden bereit zu allem. Brauchst Du nicht etwa Geld? Du hast doch die große Reise gemacht, und viele Ausgaben jetzt! Hast Du Dich denn auch zur Reise recht mit warmen Decken und Filzschuhen versehen? Es ist jetzt so grimmig kalt – sei doch ja vorsichtig. Ich erfahre doch bald alles, wie Du es für die nächste Zeit vorhast? Den Deinen allen die herzlichsten Grüße; ebenso ihnen und Dir von Marien, – und wie sehr auch sie die schmerzliche Nachricht berührt hat. – Daß ich heute nicht selbst die Feder zur Hand nehmen durfte, war mir recht schwer, viel besser hätte ich Dir sagen können, wie mir ums Herz. – Aber Du kennst mich ja und mein altes treues Herz! –
So sei denn in aller Liebe gegrüßt
von Deiner
Clara.
Leider weiß ich Eure Adresse nicht aus dem Kopf, daher ich durch Avé schicken muß. – Ich gehe heute nach Düsseldorf. Nachricht findet mich dort. –

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Köln
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
Empfangsort: Hamburg
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
963ff.

  Standort/Quelle:*)
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



Wir verwenden Cookies, um Ihnen den bestmöglichen Service zu gewährleisten (Mehr Informationen).
Wenn Sie auf unserer Seite weitersurfen, stimmen Sie bitte der Cookie-Nutzung zu. Ich stimme zu.