23.01.2024

Briefe



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ID: 14142
Geschrieben am: Sonntag 12.03.1865
 

Dresden, den 12. März 1865.
Mein lieber Johannes,
ich wollte Dir meinen Dank für Deinen lieben Brief gern eigenhändig aussprechen, daher es erst heute, nachdem gestern mein zweites Konzert glücklich vonstatten gegangen, geschieht. Es wurde mir ordentlich leichter ums Herz darnach – etwas leichteren Sinn wünsche ich mir selber manchmal. Lieb war es mir, daß Du auch einsiehst, daß es zu spät für Wien – ich möchte Wien doch wirklich nicht gern nur so im Fluge mitnehmen! Möchte auch Zeit für Preßburg und Pest haben etc. So hoffe ich denn nun bis übers Jahr.
Wie gern folgte ich Deinem Rate und machte einfach den dicken Strich über den Winter, da ich jedoch gesehen habe, daß ich die Konzerte hier mit der alten Kraft durchgebracht habe, so fühle ich doch die Verpflichtung in mir, trotzdem ich aus der Konzertstimmung ganz heraus bin, noch so viel zu tun, wie ich es kann, ohne mich zu überanstrengen; spiele also noch am Dienstag in Leipzig, Sonnabend in Zwickau, vielleicht dann 8 Tage darauf noch 1 mal im Quartett in Leipzig, dann noch Anfang April in Prag. Glaube mir, wenn ich all das noch ausführe, wird der Strich im Einnahmebuch noch immer dick genug – ich habe doch diesen Winter alles verloren, was ich mir in dem vorigen verdient hatte. So geht’s im Leben, doch ich klage nicht darüber, danke dem Himmel für die wiedergewonnene Kraft, die mir doch gestattet, einiges nachzuholen. –
Wann ich nach Baden komme, weiß ich selbst noch nicht, vor Anfang Mai glaube ich nicht daran, das ist dann aber auch die himmlischste Zeit zum Einzug, denn Frühjahr und Herbst sind unbeschreiblich schön in Baden. Überrasche mich ja nicht in dem alten schmutzigen Prag, lieber in Baden!
Es wäre mir peinlich, gäbst Du das viele Geld für Prag aus, wo man noch dazu keine Gemütlichkeit haben würde. – In Baden macht mir das weniger Skrupel. So laß uns geduldig warten und dann um so froher sein, nicht wahr, liebster Johannes?
Aber bald wieder einmal ein Brief wie Dein letzter, der mich erfrischt und ermutigt, wäre eine schöne Gabe! –
Mit Deinem Sextett habe ich aber einen dummen Streich gemacht! Joachim hat nämlich die 3 Sätze ausschreiben lassen und wollte es mir vorspielen, da waren aber zwei Cellisten krank, was mir sehr leid tat, denn ich hatte mich ernstlich darauf gefreut; nun frug er mich, ob ich glaube, daß er es mit nach England nehmen dürfe? Und da Du mir geschrieben, Du habest noch eine Reinschrift davon, so sagte ich Ja. Ich werde ihm aber schreiben, daß er es zu Ostern, wo er in Paris spielt (im Conservatoire) mit dorthin bringt, von wo ich es dann leicht erhalte.
Die Briefe und Bücher schicke ich Dir von Prag aus, natürlich mit Wertangabe, – Du hast dann hoffentlich mit Steuer etc. keine Mühen.
Zu erzählen gäb’s wohl so manches, doch zum größten Teil Unerquickliches; so wie Du neulich auch von Wien schriebst, ist es überall. Die Unverschämtheit mancher Künstler geht ins Unglaubliche, so z. B. hier die eines Herrn Dr. Satter – solche Reklame war in Deutschland noch nie da, und – gelitten!!!
Gehört habe ich den Zeitungshelden nicht, ich mag solche Klavierspieler gar nicht hören! –
Neulich war hier die Peri – ach wie poesielos – ein wehmütiger Genuß war es in Erinnerung vergangener Zeit. Wirklich, die Poesie schwindet immer mehr aus dieser Welt!
Eine große Freude habe ich aber gehabt an Reuters „Ut mine Stromtid“ – Diese Frische, Innigkeit, Humor und Natur hat mich ganz begeistert, ich möchte immerfort darin lesen! In Düsseldorf habe ich es vorgelesen und recht gut gelernt. Jetzt lese ich „Kein Hüsing“, es ist aber gar traurig.
Meine Hand schmerzt, so will ich denn schließen. Marie grüßt, und ich drücke Dir recht aus treuem Herzen die Hand.
Deine Clara.
Adressen: bis Ende März bei Frau Prof. Frege, dann wohl Prag, abzugeben bei Dr. A. Ambros.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Dresden
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
Empfangsort: Wien
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
971-974

  Standort/Quelle:*)
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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