23.01.2024

Briefe



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ID: 14144
Geschrieben am: Dienstag 04.04.1865
 

Prag, den 4. April 1865.
Liebster Johannes,
gestern bin ich hier angekommen, und nun sollst Du denn auch gleich meinen Gruß haben. Sonderbar, der Gedanke ans Ausland läßt einem die Entfernung viel größer erscheinen, einmal aber erst im Lande, glaubt man sich einander viel näher, als man es ist. So ging es mir gestern, als ich über Bodenbach hinaus kam, da meinte ich Dich schon in nächster Nähe! – Für ein Rendezvous ist es aber doch noch gar weit, und denke ich, daß ein solches hier Dich beinah eine Reise nach Baden kosten würde, so wünsche ich Dir es gar nicht, wohl aber die Reise nach Baden. Läge nur das Nebelland erst wieder hinter mir! Doch Baden im Hintergrund läßt sich alles leichter überstehen, das fühle ich jetzt immer wohltuend genug den ganzen Winter hindurch. Aber denke Dir, daß ich habe müssen einen Bau machen, in der Eßstube zeigte sich der Schwamm, und zwar dergestalt, daß Balken weggerissen werden müssen und neue gelegt. Du kannst Dir meinen Schreck denken. Doch soll dieser in Lichtental in jedem Hause sein und bei gehöriger Vorsicht nichts zu bedeuten haben. In melancholischen Momenten aber kommt mir jetzt mein Häuschen manchmal wie eine eingehende Pflanze vor, sonst immer wie ein geliebter Freund, bei dem allein ich mich heimisch fühle. Nun, lache mich nur aus, es ist darnach, aber doch etwas ernst! –
Für Deinen lieben Brief nach Dresden schönsten Dank. Was Du über Bruch gesagt, hat mich sehr interessiert und überrascht, weil es ganz dasselbe war, was ich nach der Fritjofs-Sage Marien gesagt, es fehlt ihm eben am Besten, und mich interessiert bei ihm am meisten das Geschick, mit dem er oft eine eigentümliche Färbung in seine Sachen zu bringen weiß. Ich nenne es „Geschick“, weil ich bei dem an wirklich so ganz fangene Stimmung nicht glaube, mir scheint eben alles Reflexion und viel Eitelkeit. Ich respektiere aber sein Können auch sehr.
Dein Quartett ging schön, das kann ich mit gutem Gewissen sagen, ebenso daß es sehr warm aufgenommen wurde, wir wurden gerufen, was aber dieser oder jener unwissende Rezensent sagt, nun, das geht uns nichts an! Gewisse Leute in Leipzig, namentlich R. . . , benehmen sich jederzeit bei Deinen Sachen so dumm, daß ich sie nur bemitleide, denn sie kriechen ja doch nur so als kleines Gewürm am Boden! –
Die Hexen-Variationen habe ich bei mir und will sie Dir Ende dieser Woche mit den Briefen und Büchern schicken, damit Du nichts Unnötiges noch ’mal schreibst. Im Sommer bekomme ich sie dann doch wieder?
Über das Quintett (Sonate) scheinst Du ein unverbrüchliches Schweigen gelobt zu haben!?
Von Tänzen à 4/m. schrieb mir Elise längst, daß ich sie bekommen sollte? Willst Du mir einiges hierher schicken, so wird es mich sehr freuen, meine Adresse ist bis zum 9. April hier, „im englischen Hof“, später bis 11. Dresden beim Professor Hübner, dann bis zum 21. April Düsseldorf. Deiner Schwester Brief sandest Du mir nicht mit.
Wie geht es der Armen?
Von meiner Mutter in Berlin hatte ich recht schlimme Nachricht – sie ist sehr krank, Woldemar, der sie überraschen wollte, fand sie so. Wir sind alle sehr in Sorge. Wieder mußte ich dieser Tage viel Deiner guten Mutter denken, wie gut es doch das Geschick mit ihr gemeint, sie so ohne langes Leid scheiden zu lassen!
Jetzt soll mein Brief aber fort, mit ihm noch viele herzliche Grüße zu Dir, mein lieber Johannes! –
Denke an
Deine alte Clara.
Marie grüßt schönstens.
Webers Biographie las ich noch nicht, ich muß sie mir bis zum Sommer aufsparen; bringe sie ja mit, und Reuter, so viel Du hast!
Ich spiele Donnerstag und Sonnabend hier.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Prag
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
Empfangsort: Wien
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
977-980

  Standort/Quelle:*)
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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