23.01.2024

Briefe



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ID: 14146
Geschrieben am: Mittwoch 31.05.1865
 

London, den 31. Mai 1865.
1, Ormes Square Bayswater.
Ich sehe schon, daß ich ’mal wieder schreiben muß, sonst höre ich nichts mehr von dem lieben Johannes! Du hättest mir schon ’mal wieder ein Wort aus der Heimat senden können, ist doch keine Stunde am Tage, wo ich nicht die Sehnsucht nach Hause schmerzlich empfinde. Aber, Briefe schreiben hier ist kaum möglich, denn man lebt den ganzen Tag nach der Minute und fällt den Abend spät wie tot in sein Bett. Es ist ein schreckliches Leben, jedes künstlerische Interesse, überhaupt jeder Idealismus geht hier verloren in Bussiness, ein jeder lebt und wirkt nur sich, und kann ich nicht beschreiben, wie schwer ich dies empfinde. Und dennoch werde ich mich wohl entschließen müssen, in Zukunft immer 3 Monate (dann aber von März bis Juni) hierher zu gehen, denn es ist doch der einzige Weg, mir eine einigermaßen sichere Existenz zu gründen. Nun, darüber sprechen wir bald und dann über vieles andere.
Die Aufnahme, die ich fortwährend finde, ist ganz außerordentlich, und wenn ich auftrete, ist der Empfang schon immer so warm, daß es gewöhnlich eine Weile dauert, bis ich mich ans Klavier setzen kann. Vorgestern habe ich großen Enthusiasmus im philharmonischen Konzert mit Roberts Konzert gefunden, morgen wiederhole ich es im Crystal Palace. Überall muß ich Schumann spielen, und ist das von Seiten des großen Publikums auch nur Modesache, so geht es doch aus von einer nicht kleinen Anzahl wirklich warmer Verehrer Roberts, und die machen mir Freude. Ich habe in nächster Zeit noch viel zu spielen, und in der großen Hitze ist das doppelt anstrengend. Wir haben immer das herrlichste Wetter, was meine Sehnsucht nach Baden nur noch immer vermehrt. Hier genießen wir es sehr selten, denn zum Spazierengehen ist nie Zeit. Ach, hätte ich nur noch die 3 Wochen überstanden – ich zähle die Stunden. Am 20. spiele ich zum letzten Male. Ich wage es kaum, mich recht auf zu Hause zu freuen, und doch fühle ich so oft mein Herz freudig erbeben bei dem Gedanken nach Baden.
Neulich erhielt ich beifolgenden Brief von Zuccalmaglio, den ich auf einer Reise getroffen und von Deiner Volksliederbegeisterung viel erzählt hatte. Vielleicht antwortest Du einstweilen darauf und grüßt von mir.
Über Deinen letzten Brief vom 7. (Du hast doch meinen zum 7. durch Levi erhalten?) hatte ich eine innige Freude, und daß Du es mit der Wohnung so herrlich getroffen. Wie sonderbar, daß es gerade bei der Frau ist, von der ich mein Häuschen gekauft! Ich sah ihr jetziges noch nicht, werde es nun aber wohl öfter sehen, da mein lieber Freund darin weilt. Bitte, sag’ mir bald, wie Du lebst, und was Du webst? Ich denke mir, Du bist sehr fleißig und wirst mich bald erquicken mit vielem neuen Schönen.
Ich hoffte, von Elisen, die mir auch seit 4 Wochen nicht geschrieben hatte, von Dir zu hören, denn ich dachte, Du kämest oft nach Karlsruhe, sie schrieb aber gestern kein Wort, weder von Dir noch Levi, nur daß letzterer auf 2 Monate fortgeht. Das tut mir recht leid für Dich und erstaunt mich etwas, denn ich dachte, er würde seine Ferien mit Dir verleben. – Oder gehst Du etwa gar mit ihm für einige Zeit? Du mußt mir wirklich recht bald und recht viel von Dir schreiben, denke nur, wie nötig mir hier ein warmer Gruß von zu Hause tut, und daß solcher nicht oft genug kommen kann. Ich denke mir Dich ganze Tage in den Wäldern herumlaufen und unter den Tannen liegend und hoffe, Baden ist Dir immer noch so lieb?
Ich hätte Dir so gern das Pianino wiedergegeben, aber wir hatten schon längst überlegt, daß wir es in die Fremdenstube setzen wollten, damit die Mädchen mehr üben könnten, da sie mit nur einem Klavier nicht mit der Zeit auskommen. So mußte ich denn mit dieser Überlegung den Wunsch, es Dir zu geben, unterdrücken. Hoffentlich fandest Du ein leidliches Instrument?
Joachim sehe ich fast nur auf Augenblicke – wie er arbeitet, das geht über die Begriffe, oft hält er die Proben unmittelbar vor dem Konzert und ist dann zum Konzert selbst schon todmüde. Der Arme, er wird wohl noch viel so arbeiten müssen in seinem Leben. Der kleine Johannes ist prächtig, ein bedeutender Kopf! Frau Joachim hat mehrmals gesungen und soll sehr gefallen haben – ich konnte zufällig nie dabei sein.
Der Morgen rückt vorwärts, und ich werde alle Augenblicke gestört, so muß ich mich denn von Dir trennen. Sei mir tausendmal gegrüßt, mein lieber Johannes, und laß bald sehen, daß Du gedacht Deiner
Clara.
Marie grüßt schönstens. England gefällt ihr sehr, aber sie sehnt sich mit mir nach Haus.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: London
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
Empfangsort: Baden-Baden
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
990ff.

  Standort/Quelle:*)
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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