23.01.2024

Briefe



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ID: 14153
Geschrieben am: Sonntag 04.02.1866
 

Wien, den 4. Februar 1866.
Liebster Johannes,
tagtäglich hoffte ich auf eine ruhige Stunde, Dir für Deine zwei lieben Briefe hierher zu danken – heute muß ich nun doch eine späte Abendstunde dazu nehmen, sonst käme ich hier wohl nie dazu. Wie wünschte ich, ich könnte die Tage ausdehnen wie Elastik, und Geist und Körper mit.
Von Deinen Freunden hier kann ich Dir Gutes sagen, und oft müßten Dir die Ohren klingen, denn viel sprechen wir immer von Dir – von allen soll ich Dich sehr, sehr grüßen.
. . . . Das Horntrio erhielt ich erst vorgestern, ebenso das Quintett, welches ich in Düsseldorf gelassen hatte, weil ich voraussetzte, es hier bei Hellmesberger zu finden, da es ja seit Monden auf seinem Programme stand. Auf welche Kleinlichkeit und Intrigen-Wesen mußte ich da aber stoßen! Welchen Ärger habe ich gehabt. Denke Dir, wir probieren es am Freitag (es war eine Stunde vor der Probe angekommen) — die Herren halten sich aber dabei so indifferent, daß ich endlich zu ihnen sage: „Meine Herren, ich muß Sie bitten, mir zu sagen, wann Sie Zeit haben, dies Stück mit mir zu studieren, denn auf eine flüchtige Probe kann ich mich nicht einlassen.“ Hierauf erklären die Herren, sie hätten gar keine Zeit (Hellmesberger an der Spitze), die Probe tags darauf (die letzte) sei vor Publikum, da könne man nicht mehr studieren. So mußte ich denn vom Quintett absehen und drang nun auf das A dur-Quartett. Das spielten wir denn, aber wie spielten sie es? Ich begreife noch jetzt nicht meine Beherrschung, daß ich es zu Ende spielte, denn wahrlich, auf solchen Unwillen zu stoßen, war ich nicht vorbereitet gewesen. Nun, kurz und gut, die Herren äußerten, das hätten sie mit Dir gespielt und bedürfe ja eigentlich kaum einer Probe, dann kam Hellmesberger, es passe eigentlich nicht in sein Programm, und wir wollten es doch lieber nicht spielen etc. Mir blieb nichts übrig, als entweder gar nicht zu spielen (was ich gewiß getan hätte, brauchte ich H. nicht in meinen Konzerten) oder etwas anderes.
Ich erfuhr nun, daß H. von vornherein gesagt hatte, er wolle das Quintett nicht spielen, und was des Klatsches mehr. Ich denke aber, er wird manches darüber hören müssen, namentlich von Hanslick, der höchst aufgebracht war. Wie weh mir die ganze Sache getan, brauche ich Dir wohl kaum zu sagen, ich war ja doppelt verletzt, für Dich und mich. – Was ich nun mit dem Horntrio tue, weiß ich noch nicht, denn wie sehr ich verstimmt, kannst Du ja denken, und, hatte ich mich erst darauf gefreut, so fehlt mir jetzt wirklich der Mut, mich noch ’mal solcher Unfreundlichkeit auszusetzen. Dir die ganze Sache mitzuteilen ist mir schwer geworden, und doch war es besser, daß Du es durch mich erfuhrst. Dich übrigens wird es wohl kaum so schmerzlich berühren, wie mich es getan. Männer sind eben erhabener über solche Dinge.
Von Deinen Schülerinnen habe ich Frl. Wittgenstein und Frau Rosengarden, die wirklich sehr hübsch spielt; Frau Bruch war auch einmal bei mir, aber welch eine Frau! Dumm ist sie nicht, aber so etwas von Verschrobenheit ist mir doch im Leben noch nicht vorgekommen. Denke Dir, ehe sie die erste Stunde beginnt, zieht sie ein kleines Päckchen aus der Tasche, legt dies auf das Klavier und sagt, ehe sie die Tonreise, denn eine solche sei es ja, bei mir antrete, lege sie dies auf den Kunstaltar nieder etc. etc., sie bitte mich, es liegen zu lassen, wenn ich sie nicht so nervös machen wolle, daß sie keinen Augenblick bleiben könne usw. Ich ließ es liegen und schickte es ihr aber anderen Tages durch ihre Freundin, Frau Streicher, zurück, ohne sie jedoch abzuweisen, ich sah sie aber seitdem nicht wieder. (In dem Päckchen lagen 12 Dukaten!)
Ich habe nun zwei Konzerte gegeben, die äußerst brillant in jeder Hinsicht ausgefallen sind. Ich fand eine Aufnahme, wie man sie sich nicht wärmer wünschen kann, und beide Konzerte waren übervoll. Am Freitag den 9. gebe ich das dritte und den 17. wohl das vierte. Am 19. soll ich in einer großen Soiree bei Sina spielen. So bleibe ich denn wohl jedenfalls bis zum 22. – 23. – nach Pest gehe ich wahrscheinlich nicht, da die politische Erregung sehr groß sein soll. Mir ist es auch recht so, denn es spart mir Kräfte für England, wenn ich mich jetzt nicht gar so sehr ermüde.
Wie erstaunt war ich aber, von Dir zu hören, daß Du nach Karlsruhe gegangen, daran hatte ich gar nicht gedacht. Willst Du da länger bleiben? Wie wird es mit der Schweiz? Wie habe ich mich aber gefreut, daß Du im philharmonischen Konzert nicht begleitet! Übrigens ist doch nach allem diese Zumutung unglaublich! Recht betrübt war mir Dein Aufenthalt in Hamburg, ich konnte mir Dich nicht behaglich dort denken. Friedchen schrieb mir sehr erfreut, wie schön Du ihnen vorgespielt.
Mit dem Suchen des Manuskriptes Roberts in Baden, das geht nicht, so sehr ich Dir auch dafür danke. Da ich es am letzten Tage noch wegschloß, wo ich den Kopf so voll hatte, kann ich Dir mit dem besten Willen nicht sagen, wo es ist, und habe Rieter gebeten, sich bis zum Frühjahr zu gedulden. Daß ich es aber überhaupt nicht mitnahm, geschah aus Vorsicht, denn gar zu leicht kommt einem auf Reisen so etwas fort.
Nottebohm sah ich mehrmals – gestern spielte ich mit ihm seine Bach-Variationen. Daß er ein tüchtiger Musiker, erkennt man wohl daraus, aber am Eigentlichen fehlt es doch, der Erfindung!
Ich sehne mich recht von Herzen, bald wieder von Dir zu hören, und vor allem über Deine nächsten Pläne? Du weißt, ich wohne Schottenhof, 6. Stiege, 3. Stock.
Was macht Levi? Grüße ihn schönstens.
Jetzt gute Nacht, mein lieber Johannes.
Gedenke meiner wie ich Deiner.
Immer
Deine
Clara.
Bitte, erkundige Dich ’mal, wie es jetzt mit Ludwig geht?

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Wien
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
Empfangsort: Karlsruhe
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
1017-1022

  Standort/Quelle:*)
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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