Frankf. a/M. d. 26 Febr. 90.
Liebe Marie,
wie lange bin ich Ihnen meinen Dank für Ihre lieben Zeilen und die rei¬zende Sendung schuldig geblieben, aber, ich habe mich gleich nach Weih¬nachten an Influenza gelegt, Wochenlang zu Bette gelegen, und fange erst seit 14 Tagen an mich etwas zu erholen. Was hat sich nun aber in der Zeit von 6 Wochen alles angesammelt gehabt, daß ich zu erledigen habe – Sie glauben es nicht, und |2| wie langsam ich damit vorankomme, weil ich immer noch nicht die alten Kräfte habe.
Vor allem muß ich Ihnen sagen, wie sehr mich Ihre Erzählungen an¬gemuthet haben, ich erkannte in der Feinsinnigkeit, der Gemüthsfülle, der Begeisterung für die Kunst, ganz und gar die alte liebe Freundin, wie sie sich mir in früheren Zeiten so oft gegeben. Gewiß werden Sie mit diesem Werk das gewünschte Resultat finden.
|3| Bei uns geht nun Alles wieder den alten Gang. Leider konnte ich eini¬gen angenommenen Engagements nicht nachkommen, wegen der Krank¬heit – das war mir ein Schmerz, dann aber vor allem der Verlust meines ältesten Freundes Bendemann, der mir eine große Stütze in Allem war, ein wahrer Freund, und, welch herrlicher Mensch u. Künstler! – An diesem Verluste trage ich schwer, und immer sind meine Gedanken bei der armen Frau, die meinem Herzen nicht weniger nahe steht.
|4| Sie finden inliegend die Composit. des Herrn H. zurück. Derselben nach kommt mir vor, als ob der Componist noch nicht viel geschrieben habe; <es> ┌das Stück┐ ist ganz hübsch, aber wie von einem Anfänger, u. dafür scheint er mir doch zu alt? ich habe mir erlaubt am Schlusse des Stückes einige Noten mit Bleistift hinzuzufügen, weil es so leer klingt. Eine gewisse Steifigkeit finde ich an verschiedenen Stellen, anderes wieder recht hübsch, jedoch von besonderer Anlage kann ich nichts finden. Dies aber nur zu Ihnen liebe Marie, warum wollen wir den Mann kränken! er ist doch auch schon zu alt, |5| erst noch ernsthaft in der Musik zu beginnen, u. das müßte er meiner Ansicht nach, schon um eine gewisse Steifigkeit los zu werden; Sie können ihm ja sagen, ich fände das Stück recht hübsch, hie und da gefielen mir Klänge (Fortschreitungen) nicht ganz gut. Aber, bitte, liebe Marie, schicken Sie mir nichts Weiteres ┌von ihm┐, ich habe nicht die Zeit zur Durchsicht, immer eine Menge solcher Sachen liegen, u. komme kaum durch.
Sie machen mir die herzlichste Freude, wenn Sie mir zuweilen von sich, der |6| lieben Freundin und der eben so lieben Heydenreich schrei¬ben, ich habe stets das wärmste Interresse, wenn ich es auch selten thätlich zu beweisen vermag.
Mit allen guten Wünschen für Sie Alle
Ihre
mit dem alten
Herzen ergeb
Clara Schumann.