Hochgeehrter Herr,
Haben Sie vielen Dank für Ihren gütigen Brief, wie für die Mitsendung der Tragödie! Eine mehrwöchige Abwesenheit von hier ist Schuld, daß ich ihn so spät bringe. Aber oft habe ich mich in Ihr Werk vertieft, es auch meiner Frau vorgelesen, was, wie ich glaube, immer die beste Art des Lesens ist. Den höchsten Eindruck giebt freilich die Bühne, wie mir denn gerade „Agnes Bernauer“ zu den dramatisch wirkungsvollsten zu gehören scheint; aber sie hier am Rhein zu sehen, wo die dramatische Kunst auf ziemlich niedriger Stufe steht, wird mir leider nicht vergönnt sein. So haben Sie denn Dank, |2| daß Sie uns durch Ihre Gabe gestatteten, das ergreifende Trauerspiel der Phantasie vorüberführen zu können.
Was Sie mir über unsern jungen Freund und seinen Lebensplan mittheilen, hat mich höchlich interessirt. Die Compositionen, die ich in letzter Zeit von ihm kennen lernte, bekunden gegenüber seinen früheren einen bedeutenden Fortschritt. Er schreibt viel gewandter, beherrscht die Formen mit größerer Leichtigkeit, und hat, was mich besonders erfreut, eine natürlich melodische Ausdrucksweise. Aber in der Musikwelt zur Geltung zu kommen dazu gehört freilich mehr, das gelingt nur der ausgezeichnetesten Begabung bei unausgesetztem Arbeiten in den strengsten und größsten Kunstformen. Ich glaube, |3| es müßte seinem Lieblingswunsche, sich der Kunst zu ergeben, nichts entgegengestellt werden, er sich aber auf irgend eine Weise durch einen Rückhalt zu decken suchen, indem er seine juristischen Studien beendigte. Dann, glaub’ ich, müßte er auch Wien auf einige Zeit verlassen. Es ist dort, so viel ich weiß, keine eigentliche musikalische Strömung, es verläuft alles in Partei- und Cliquenwesen, und fehlt ein Meister, der die Guten um sich versammelt. Dazu muß man dort oft viel schlechte Musik hören, und das ist das Schlimmste. Mittel- und Norddeutschland, auch das Rheinland, haben in der Musik den Süden bei weitem überflügelt, und namentlich möcht’ ich Leipzig als eine der regsten musikalischen Städte bezeichnen wo sich Niemand der lebhaften Bewegung entziehen kann. Ueber |4| alles dieses denke ich nächstens auch Hrn. v. Debrois noch besonders zu schreiben, dem Sie einstweilen aus diesen Zeilen mittheilen wollen, was Sie für gut befinden.
So sage ich Ihnen denn für heute Lebewohl und will wünschen, daß ich Ihnen bald einmal im Leben begegne.
Ihr
ergebener
Robert Schumann.
Düsseldorf, den 23sten Juli 1853.
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