23.01.2024

Briefe



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ID: 17296
Geschrieben am: Dienstag 01.12.1857
 

Liebe Frau Schumann

Sie haben keine Idee wie unruhig ich war Sie allein concertirend herumreisen zu wissen, und so ohne jede Nachricht zu bleiben; zuletzt schrieb ich an Woldemar um Ihre Adresse, da ich zweifelte daß Sie meinen Brief nach München erhalten hätten, aber auch Wold. blieb stumm. Also ernstlich krank waren Sie? Ich dachte immer daß Sie Sich nun allein zuviel zumuthen würden. Eine kleine Warnung von oben hätten Ihre Freunde fast wünschen sollen – aber daß Sie gleich so ernsthaft leiden mußten! Arme Freundin, was mögen Sie ausgestanden haben – so ohne Musik allein existiren zu müssen. Es ist schrecklich! Ich hatte vor 4 Jahren hier so eine Zeit, als ich eben meine neue Stellung als Concertmeister angetreten hatte. In der ersten Probe zur Sinfonie von Mendelssohn die damals meine erste Leistung sein sollte überdirigirte ich mich im Eifer, und hatte 14 Tage lang nicht Kraft den Bogen oder eine Feder zu führen – ohne Bekannte und ohne entgegenkommende Kollegen so ein Debüt! Noch schlimmer aber war es jetzt für Sie, als es Sie im besten Zuge für die Ihrigen zu sorgen traf. Gewiß haben Sie nun Alles verbrauchen müssen was die Concerte in Leipzig und in Dresden eingetragen haben, und sind am Ende für die nächsten Wochen gezwungen zu thun was Ihnen so unangenehm ist; aber nicht wahr, Sie vergessen dann doch nicht daß Sie mir oft gesagt haben Johannes und ich wären Ihre zuverlässigsten Freunde, und sie kommen dann zu einem von uns wegen der nöthigen Vorschüsse zu der Schweizer Concert-Tour. Wie kindisch würde ich mich freuen, wenn mein kleines Capital in Ihren Händen, das ich auf Ihren weisen Rath zurückgelegt, gleich so nützlich sein könnte! Es könnte mich aufmuntern wieder in Zukunft wirthschaftlich zu sein, wenn ⎡meine kleine Ersparniß⎤ einem Freunde gleich nützte, und eigentlich darf ich im Interesse meiner finanziellen Erziehung, die Sie so erfolgreich begonnen, fordern daß Sie, wenn Sie etwas derartiges brauchen, mich nicht links liegen lassen. Sie müssen gewiß recht über mich lachen! Der Erfolg des Schumann’schen Concertes bei dem Münchner Orchester war doch wenigstens ein milder Sonnenstrahl im dumpfen Krankenstübchen! Ich hätte Lachner und seinen Freunden nicht so vorurtheilsfreie, gemüthliche Beweglichkeit zugetraut, und freue mich auch darüber. Hier hatte vorigen Sonnabend in der 2ten Quartett-Soirée das Amol Quartett von Schumann, das ich außer einem Haydn’schen und einem Beethoven’schen spielte, ebenfalls ein günstiges Auditorium. Viele waren ganz erwärmt von dem reichen, musikalischen Guß, der so zwanglos in der Composition waltet. Wir merkten es bald und spielten recht mit Liebe. Nächsten Sonnabend ist auch das erste Abonnement-Concert; Piatti, der Cellist aus London wird darin spielen. Außerdem hat S. M. der König ⎡auf der Reise⎤ in Schwerin oder in Strelitz eine italienische Sängerin gehört, und da er ohne Unterschied der Nationalität von allen als Protektor der Kunst angebetet sein will so hat er befohlen <> die Signora Fortunis für sein erstes Koncert zu engagiren. Die wird gutes Zeug singen! Und Piatti mit seinen Fantasien über Linda – das giebt was für die allerhöchsten und hohen Ohren: delicios! Ich habe mir aber fest vorgenommen den ganzen Abend zu lachen und mich nicht zu ärgern; ich weiß doch ganz still was ich thue wenn mir der König die Concerte nicht ungeschoren läßt! An den Orchester Sachen werde ich aber mein Vergnügen haben, hoffe ich: die Mendelssohnsche A mol Sinfonie und die Schubert sche [sic] Ouverture zu Fierabras sind gewählt. Kennen Sie letztere? Es sind sehr schöne Harmonien drin, ein prächtiger Eintritt des 2ten Themas und überhaupt ein origineller Wechsel von Dur und Mol durchs Ganze, echt charakteristisch Schubert’sch. Leider auch breitgetretenes und zu viel Posaunen-Lärm hie und da –. Eine Orchester-Probe zur 9ten Sinfonie hatte ich auch schon; sie wird nebst Fragmenten aus Orpheus am 19ten d. M. im Theater zum 2ten Concert aufgeführt werden. Gebe der Himmel daß nichts dazwischen kömmt! Es könnte ein unvergeßlicher Abend werden; Jaell kann nicht kommen, und ich habe also als Solo ein schönes Viottisches Concert gewählt,<> das ich noch nie gespielt habe, und auf das ich mich mit Vergnügen vorbereite.
Für heut muß ich schließen; ich habe ungenirt allerlei durcheinander geschrieben, ich glaube es ist in der Fremde behaglich, wenn man einen Freund wie bei traulichem Besuch plaudern zu hören glaubt. Fortsetzung soll bald folgen. Lassen Sie bald von Ihrer Besserung hören, und grüßen Sie recht sehr Ihre treue Pflegerin.
Herzlich ergeben
Ihr
Joseph Joachim

Am 1ten Decbr.

  Absender: Joachim, Joseph (773)
  Absendeort:
  Empfänger: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Empfangsort:
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 2
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Joseph Joachim und seiner Familie / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Klaus Martin Kopitz / Dohr / Erschienen: 2019
ISBN: 978-3-86846-013-1
369-372

  Standort/Quelle:*) D-DÜhh: 55.1998, Nr. 49
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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