Am 16ten
Liebe Frau Schumann
Wo sind Sie und was haben Sie in Betreff Hannovers vor? Ich habe gestern in einer Berliner Musikzeitung von vorvoriger Woche gelesen Sie spielten in der ersten Radeck’schen Soirée, am 16ten. Das kann doch wohl nicht gut sein, Sie werden doch mich nicht haben rechts oder wie man sagt links liegen lassen? Ich erwarte Sie in diesen Tagen, und hoffe mich nicht zu täuschen. Ich habe eine schlimme Nachricht in Betreff meiner mitzutheilen; möchte das aber lieber mündlich um gleich die Folgen zu besprechen. Also bitte, geben Sie gleich Nachricht ob Sie in diesen Tagen durchkommen, sonst muß ich allerdings darüber schreiben. Den König habe ich noch immer nicht gesehen. Heute ist unser erstes Quartett: H. M. u. B. Die Schumann’sche Sinfonie konnte ich neulich nicht probiren; bei Whistling waren nicht genug Stimmen vorhanden! Ich spielte die Ocean-Sinf. von Rubinstein, die ich nicht aufführbar fand: recht viel Rohes, Häßliches und Gewöhnliches neben manchem Talentvollen, ja großartigen Anfängen an mehreren Stellen. Dagegen spielten wir eine recht anmuthige von Gade mit reizender Instrumentirung. Überall der feinfühlende Mensch und Musiker, wenn auch keine bedeutenden Motive. Ich bin in meiner Wohnung ziemlich eingenistet und wohl damit zufrieden, was viel sagen will da ich gräßlich erkältet bin. Bis Sie kommen will ich aber trachten gesund zu werden; und bin ich’s noch nicht so werd’ ich dann wenigstens nichts von Uebelbefinden merken.
Mit herzlichen Grüßen
Ihr
Joseph Joachim
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