23.01.2024

Briefe



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ID: 1735
Geschrieben am: Freitag 07.10.1853
 

Unser letzter Briefwechsel kömmt zwar an Umfang dem Göthe- Zelter’schen nicht gleich; aber man könnte ihn zu einem nach und nach anwachsen laßen, wenn ich auch nicht Willens bin, über den, den es betraf, mich weiter auszusprechen. Denn über gewisse Dinge und Menschen schweigt man lieber und diese sind selten im Conversationslexikon zu finden. Nur das glaube ich, daß, wenn ich jünger wäre, ich vielleicht einige Polymeter auf den jungen Adler, der so plötzlich und unvermuthet aus den Alpen dahergeflogen nach Düsseldorf, machen könnte. Oder man könnte ihn auch einem prächtigen Strom vergleichen, der, wie der Niagara, am schönsten sich zeigt, wenn er als Waßerfall brausend aus der Höhe herabstürzt, auf seinen Wellen den Regenbogen tragend, und am Ufer von Schmetterlingen umspielt und von Nachtigallenstimmen begleitet. Nun ich glaube, Johannes ist der wahre Apostel, der auch Offenbarungen schreiben wird, die viele Pharisäer, wie die alle, auch nach Jahrhunderten noch nicht enträthseln werden; nur die andern Apostel verstehen ihn, auch vielleicht Judas Ischarioth, der aber getrost an der Ilm dociren mag. Dies alles ist nur für den Apostel Joseph. Hier lege ich auch etwas Neues bei, was Ihnen vielleicht ein Abbild von einem gewißen Ernst giebt, hinter dem oft eine fröhliche Stimmung hervorsieht. Oft waren Sie, als ich schrieb, meiner Phantasie gegenwärtig, was wohl zu der Stimmung beitrug. Sagen Sie mir Alles, was Ihnen nicht zu schwer, wie ich denn Ihnen wirklich schon zum Genießen unmögliche Gerichte oder wenigstens Bißen vorgesetzt habe. Streichen Sie Alles durch, was nach Unausführbarkeit schmeckt. Vieles hätte ich Ihnen noch mitzutheilen; ich hebe es auf bis das nächstemal, was so viel als vor Ende der Woche heißt.
Mit vielen Grüßen
Ihr
R. Sch.

Ich möchte die Partitur bis in etwa 4 Tagen zurückhaben, da die Stimmen noch auszuschreiben. Den Clavierauszug und die Stimme können Sie behalten.

D., d. 8ten Oct. 1853.

Nachschrift:
Der junge Adler scheint sich im Plattland zu behagen; er hat einen älteren Wärter gefunden, der, mit solch jungem Aufflug umzugehen gewohnt, die wilden Flügelschläge zu sänftigen versteht und die Schwungkräfte nicht hindert. Auch ein treuer Hund, Albert mit Namen, und von echt-deutscher Raçe hat sich beigesellt, der den Aar auf seinen Spazierflügen begleitet und ihn durch allerhand Luftsprünge und Kunststücke zu belustigen sucht.

Nachschrift am 10ten.
Der Schreiber vertröstet mich auf übermorgen; drum schick’ ich den Brief fort ohne Concert.

[Umschlag]
Sr. Wohlgeboren
Herrn Musikdirector J. Joachim
in
Hannover.

  Absender: Schumann, Robert (1455)
  Absendeort: Düsseldorf
  Empfänger: Joachim, Joseph (773)
  Empfangsort:
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 2
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Joseph Joachim und seiner Familie / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Klaus Martin Kopitz / Dohr / Erschienen: 2019
ISBN: 978-3-86846-013-1
82ff

  Standort/Quelle:*) D-B; s: Mus.ep. R.Schumann 28
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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