23.01.2024

Briefe



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ID: 17357
Geschrieben am: Freitag 28.06.1861
 

Liebe, verehrte Freundin

Sie werden sehr erstaunen über die Eröffnung, die ich Ihnen jetzt machen werde: daß ich nämlich den Sommer über ganz ruhig hier bleiben will! Ich bin so viel hin und her gewesen in diesem Jahr, daß ich förmliche Sehnsucht nach Ruhe habe, und die ist mir erst jetzt hier gegönnt. Die Zeit seit Berlin war durch 3 Concerte bei Hof (wegen der Russischen Oldenburgischen, Badischen etc etc Besuche), zu denen auch Scholz als Begleiter telegraphirt ward, recht zerstückelt. Scholz, der nicht einmal in seine Wohnung konnte, weil das Mädchen mit dem Schlüssel nach Haus gereist war, lebte die ganze Zeit bei mir, dazu kam das lange Aufbleiben, kurz an Arbeitstimmung und Fleiß war unter solchen Umständen nicht zu denken. Nun aber denke ich soll’s in meiner frischen, gegen Wärme sehr geschützten Gartenstube, recht heimisch werden, und ich hoffe Ihnen bald sagen zu können daß ich mitten in der Arbeit stecke, bis über die Ohren! Später wollen wir dann in der Schweiz, oder wo Sie wollen, zusammentreffen. Ich habe für den 19ten August ein Engagement in Antwerpen angenommen, wo die Eroica, die Walpurgisnacht und das Beethoven’sche Concert in’s Programm aufgenommen sind, und man mir für das letztere 1500 francs bestimmt hat. Das durfte ich doch nicht ausschlagen! Wie schön kann ich dann für die Summe eine Reise zur Erholung machen, wenn ich bis dahin recht arbeite. – Lassen Sie mich nun recht bald wissen, was Sie nach Spa beginnen. Mit dem Aufenthalt in diesem Bad muß es für Sie bald zu Ende gehen. – Ich habe Ihnen noch so viel zu danken für den Aufenthalt in Berlin! Felix und Eugenie waren gar so lieb, und in der ganzen Wohnung wehte der Geist Ihrer Fürsorge, trotz der Entfernung. Auch ist die Lage sehr reitzend, und ich begreife immer nicht, daß Sie Berlin gar so hassenswürdig finden. Es ist und bleibt denn doch die geistig belebteste Stadt Deutschlands, und das will wahrlich viel sagen. Mit etwas Ausdauer, und dem für die Berliner dadurch erwachsenden Gefühl daß Sie wirklich dort festen Wohnsitz gründen wollen, würden Sie bald dort den wohlthätigsten Einfluß Ihrer reinen, begeisterten Kunstausübung merken. Die kurze Zeit, die Sie bisher widerwillig dort weilten, konnte in einer so großen Stadt noch keine Wirkung nach sich ziehen. Wir müssen einmal mündlich auf dies Thema kommen. – Für Felix’chens Violinspiel konnte ich bis jetzt leider noch nichts weiter thun, als ihm anempfehlen nur in den Stunden mit dem Lehrer und auf einer etwas größern Violine zu spielen, die ihm der Geigenmacher Grimm geben wird, sobald er sie holt. Allein zu üben fehlt’s dem kleinen Jungen doch noch an Urtheil, obgleich er ganz gut hört, wenn ein anderer falsch greift. Ich durfte auch lange Zeit nicht allein üben. Bei der Violine ist’s damit natürlich anders zu halten wie beim Klavier, wo die Töne fertig und rein vom Stimmer überliefert werden. Ich muß dann im Herbst wieder einmal nachsehen. – Ich soll Ihnen von der Königin sagen, daß sie ein kleines Hufeisen für Sie habe besorgen lassen und es Ihnen bald einmal zu übergeben hoffte, da es Glück bringt. Sie hätten das von Frl. Wentzel einmal gelobt, und es wäre annähernd so, wenn es auch nicht ganz gleich geschafft werden konnte. Den schönen Kanon habe ich denkend, d. h. Ihrer denkend gelöst. Frl. Marie einen freundlichen Gruß von mir,
Ihrem altergebenen J. J.

  Absender: Joachim, Joseph (773)
  Absendeort:
  Empfänger: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Empfangsort:
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 2
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Joseph Joachim und seiner Familie / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Klaus Martin Kopitz / Dohr / Erschienen: 2019
ISBN: 978-3-86846-013-1
609-612

  Standort/Quelle:*) D-DÜhh: 55.1998, Nr. 107
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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