Liebe Frau Schumann
Es wird Ihnen überraschend sein von mir zu hören, daß ich vom 21ten bis 30ten Mai nach Hannover gehe, um dort am 27ten zu des Königs Geburtstag ein Concert zu dirigiren! Die Königin richtete durch Fräulein v. d. Gabelentz eine so freundliche, dringende Bitte an mich, ich möchte ihr die Idee, den König auf diese Weise zu „überraschen“ nicht verderben, daß ich unmöglich so unritterlich sein konnte „Nein“ zu sagen; obwohl ich weiß daß ich dadurch manche unangenehme Auseinandersetzung wegen meines Urlaub-Gesuches für 2 Jahre auf mich lade. Ich denke aber fest zu bleiben; umsomehr als mir wirklich im Gedanken an die kleine Stadt mit den allerlei Hof-Umständlichkeiten schon jetzt graut –. Die ganze Überraschungsgeschichte bleibt aber wohl unter uns. Mir geht es ganz gut; Sie wissen<,> wie heimisch ich mich hier fühle, und ich bedauere immer nur, daß Ihnen die Schattenseiten des hiesigen Lebens nicht auch, wie mir, im Zusammenhang mit lieben Erinnerungen erträglich vorkommen! Wie gern redete ich recht zu, Sie sollten auf jeden Fall kommen; das darf ich aber nicht, denn es käme mir zu egoistisch vor! Ich habe auch mit Broadwood dem ältern gesprochen, welcher ebenfalls meint, daß <> es noch ungewiß sei, ob die Ausstellung günstig oder ungünstig auf die Concerte wirken würde. Er wünscht sehr, daß Sie kommen, und hat das aufrichtigste Interesse dabei – aber er meint ein Risiko müsse jeder fremde Künstler übernehmen, wenn er nicht alljährlich erscheint. Ella wird Ihnen wohl selbst gerschrieben haben. Chappell’s würden Sie für 2 Abende der „Popular Concerts“ engagiren, und wenn diese Concerte allwöchentlich fortgesetzt werden, was wohl wahrscheinlich so kommen muß, noch öfter. Der Name „Poplar Concts“ erschreckt sie [sic] hoffentlich nicht; er kommt davon daß auch Plätze zu einem Shilling verkauft werden, um auch den unbemittelten die Möglichkeit zu verschaffen, zuzuhören. Es wird nur die aller-beste Kammermusik da aufgeführt, vom letzten Beethoven bis zum jungen Haydn, vor 2000 u. mehr Hörern, wobei denn Apoll freilich auf Gerechte und Ungerechte seine goldnen Strahlen gießt. Wie schön ist’s, daß die Pariser Ihnen so dankbar sind, und mit Verständniß! Ja, Musik mit Andacht dargebracht übt Macht; sie wird immer mehr Ausbreitung gewinnen, je mehr die Wiener großen Meister von den Künstlern verstanden und mit Überzeugung gespielt werden. Das lockt die Liebhaber, und so schlagen diese Wellen in der Empfindung des Menschen-Geschlechts immer weitere Ringe. Das sehe ich hier, wenn ich heute mit der Zeit vor 10 Jahren vergleiche. Mag auch immerhin bei den Einzelnen etwas Affektation mit unterlaufen! Wie geht’s Johannes? Ich kann mit dem besten Willen hier nicht regelmäßig correspondiren, will ihm aber in den nächsten Tagen schreiben. Benzons waren mit Ihnen gleichzeitig in Paris, ohne es zu wissen, daß Sie dort. Neulich (am 28) haben wir bei Marie Benecke den Tag, an dem Mendelssohns silberne Hochzeit gewesen wäre, durch 3 Quartette von ihm gefeiert. Es war mir ganz eigenthümlich ernst dabei zu Muth; ich wurde aber durch und durch erwärmt durch manche lichte Stelle in den Werken, welche mir im ganzen Zusammenhang mit seiner vollendeten, reinen Menschlichkeit aufgieng, wie ich so an ihn dachte. Adieu, liebe Frau Schumann! Grüßen Sie Fräulein Marie von mir; und denken Sie an meine aufrichtige Ergebenheit wenn Sie mir manchmal etwas übel nehmen wollen.
J. J.