London, am 26ten August.
Liebe Frau Schumann
Ich habe in dem letzten Monat an keinen meiner Freunde ein Wort geschrieben – und sie haben nichts daran verloren, denn man hat wirklich eine Zeitlang zu thun, bevor man sich aus dem prosaischen Geschäft des vielen Spielens in der Saison zu der alten Lust und Freudigkeit an der Kunst zurückfindet. – Manchmal machte ich kleine Ausflüge in die Umgegend von London, zuletzt nach Hastings am Meer. Da hat es mir so gut gefallen, daß ich morgen auf einige Wochen – vielleicht auf 6 Wochen hinziehe. Meine Adresse dort kann ich noch nicht sagen, ich will erst ein Quartier an der See suchen; aber wenn Sie ein paar Worte an Herrn Victor Benecke, 5, Pelham Place Marine Parade Hastings adressirten, so würde mir dieser sie zukommen lassen. Es ist dies der Schwiegersohn Mendelssohns, und Sie werden es natürlich finden, daß ihn mir das besonders Werth macht. Ich war hier in London am liebsten in seinem Haus; Marie Mendels. ist eine vortreffliche Hausfrau geworden, und so klug und anmuthig dabei, daß man ihr die Eltern anmerkt. Auch Karl und Lili haben mir einen sehr guten Eindruck gemacht, und ich hoffe dasselbe von Paul sagen zu können, den ich bei seiner Schwester bald werde kennen <> lernen, da er zum Besuch in Hastings erwartet wird. Sie sehen, daß es mir also an Gesellschaft nicht fehlen <> kann, wenn ich sie nicht an der Frau Musica haben <> sollte. Wenn ich Sie aber im Oktober wiedersehen werde, so hoffe ich einiges Notenpapier als Zeichen mitzubringen, daß die letztgenannte Dame mir die liebste Gesellschaft geblieben. Vielleicht kann ich Sie Ende Oktobers zu Brahms Sinfonie nach Hannover laden. Einen Theil meiner Sachen habe ich mit Rabe dahin vorausgeschickt, der heute über Bremen zurückgereiset ist. Ich freue mich auf 6 Concerte, die meine Hannover’sche Wirksamkeit mit Jahresschluß enden sollen, wie ich denke. Grüßen Sie den herrlichen Rigi, der Sie gewiß gestärkt und erhoben hat. Die herzlichsten Grüße auch an Fräulein Marie und Julie. Mein Geburtstagsgeschenk soll mit Stolz in die Reihe seiner Geschwister aufgenommen werden. Innigsten Dank von
Ihrem treu ergebnen
Joseph Joachim
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