23.01.2024

Briefe



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ID: 17373
Geschrieben am: Dienstag 14.10.1862
 

Am 14ten Oktber
40, Pall Mall

Liebe Frau Schumann

Scholz hat mir gestern Ihren 1sten Brief geschickt; heute kam der zweite, vom 8ten Oktober. Sie können nicht denken, wie sehr mich beide erfreut haben – ich hatte mir wirklich ganz fest eingebildet, und mit der Phantasie in den grellsten Farben ausgemalt, daß Sie und Johannes, von dem ich auch nur indirekt durch Avé aus Hamburg gehört, mich geradezu aufgegeben hätten! Um Ihnen dies begreiflich zu machen, muß ich Ihnen erzählen, daß ich von Hastings aus an Johannes geschrieben hatte, er möchte mir sobald als möglich (spätestens nach 8 Tagen) antworten, ob er den Wunsch habe seine Symphonie6 zuerst in Hannover zu probiren und aufzuführen; es läge mir sehr viel daran dies zu wissen, bevor ich nach Hannover käme. Meine Absicht war, im Falle er „Ja“ sagte, dorthin zu gehen, und erst nach den Concerten dort meine Stellung definitiv zu lösen. Aber es kam gar keine Antwort. Was war natürlicher als zu denken, er wäre geradezu gegen mich aufgebracht, und wollte von meiner freundschaftlichen Hülfe zum Hören seines Werkes keinen Gebrauch machen. Ich wurde darin dadurch bestätigt, daß ich auch von Ihnen nichts hörte. So beschloß ich denn, da der Haupthebel für mein nochmaliges Dirigiren der Hannover’schen Concerte fehlte, von hier aus meinen Kontrakt zu lösen, um den unvermeidlichen, peinlichen mündlichen Auseinandersetzungen zu entgehen, falls ich es am Ort selbst thäte. Die Unbehaglichkeit, (trotz aller Annehmlichkeiten der Stellung)<> in einer Stadt zu leben, in der man nicht mit ganzem Herzen heimisch sein kann, und meine Antipathie gegen Höfe<leben> überhaupt, hatte mir schon zu lange alle Stimmung geraubt, alles Gefühl der Harmonie zerstört! Es war ein harter Schritt, manches zarte, edel gemeinte Zeichen der Gunst von Seiten des Königspaars so zu zerstören – aber es mußte geschehen. Ich hoffe meine Freiheit zu gutem Zweck zu nutzen; sonst müßte ich mit ewigem Vorwurf an die Kapelle zurückdenken, die ich aufgegeben. Bis zum Ende des Jahres bleibe ich hier; London ist jetzt viel angenehmer für mich als in der Saison. Ich werde jeden Montag öffentlich Quartett spielen, sonst aber in meinem 4ten Stock (40, Pall Mall) nur meiner Musik leben. Wenn ich noch trotz meiner Kündigung für die 8 Concerte nach Hannover citirt werde, so muß ich natürlich im Januar zum letzten Mal gehorchen. Ich glaube es aber kaum; der König wird zu aufgebracht sein. – Scholz schreibt mir heute, daß ein Packet von Brahms aus Wien für mich dasei; ich hab’ natürlich gebeten es gleich hieher zu besorgen. Hurrah! vielleicht das Quintett! Von der Sinfonie kenne ich auch noch nichts; am Ende ist’s die. Ihr Entschluß bei Baden Hütten zu bauen überrascht mich sehr. Mir ist’s so herzlich lieb, daß Sie endlich Ihre Theuern alle um Sich haben sollen, daß dieser Gedanke bei mir vorwiegt. Sonst kenne ich gerade die Gegend zu wenig, um mich für mich darüber zu freuen. – Daß ich immer in England bleibe, müssen Sie nicht glauben. Ich kenne die Schattenseiten des Künstler-Lebens da zu genau; wenn es mir auch sonst in vielen Dingen zusagt. Nehmen Sie mit diesen unruhigen Zeilen fürlieb; ich wollte Sie nicht auf Nachricht warten lassen. Mit 1000 Grüßen an die Ihrigen
Ihr
Joseph J.

Ist Stockhausen mit in Basel?

  Absender: Joachim, Joseph (773)
  Absendeort:
  Empfänger: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Empfangsort:
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 2
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Joseph Joachim und seiner Familie / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Klaus Martin Kopitz / Dohr / Erschienen: 2019
ISBN: 978-3-86846-013-1
691ff

  Standort/Quelle:*) D-DÜhh
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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