23.01.2024

Briefe



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ID: 17454
Geschrieben am: Mittwoch 17.07.1867
 

Am 17ten July

Liebe Frau Schumann

Mir scheint denn doch zuweilen das bloße Ohrenklingen nicht ausreichend, und ein paar noch so unmusikalisch aussehende Linien sind unentbehrliche Bindemittel für Freunde, die weit von einander leben! Sie haben an meine Ursi Ihr Bedauern ausgesprochen, daß ich nicht meine Rückreise von Wien über Baden machte – aber wie kurze Zeit hätte ich bleiben können, und in welcher trüben Stimmung war ich, da ich noch dazu meine Frau in leidendem Zustand wußte! Hatte ich ja auch das Züricher Musikfest aus letzterem Grund aufgegeben, noch bevor ich wußte wie gefährlich es mit meiner armen Mutter stand. Die Gute hat furchtbar vor ihrem Ende gelitten – und hülflos zusehen, wenn geliebte Menschen Qualen leiden ist wohl das traurigste im Menschenleben! – Brahms war mir ein großer Trost; er war so gut und theilnehmend, weihte mir alle Zeit in den Tagen, die ich in Wien zubrachte. Musicirt hat<> er aber nur einmal, und leider nichts von sich bei der Gelegenheit; doch versprach er mir die Einsendung von Streich-Quartetten, die aber bis jetzt nicht gekommen sind. Kennen Sie sie? Ich denke, Sie werden Brahms sehr
entbehren; einen so reich schaffenden musikalischen Geist nahe zu haben, wäre auch mir eine Labung. Wir musiciren in Ermanglung dessen wenigstens recht viel für uns; so hatten wir neulich zu vieren eine recht schöne Schumann-Feier in aller Stille, deren Programm ich aufschreibe:
1. A mol Sonate (Frau v. Bronsart u. ich)
2. Frauenliebe u. Leben (meine Frau u. H v. Bronsart)
3. Etudes symph. (Fr. v. B.)
–––––––
4. Die Märchenbilder (H v. B. u. ich)
5. 3 Duette für Sopr. u. Alt (Fr. v. B. u Ursi)
6. Carnaval (H v. B.)
Sie sehen, daß die Preußen einen bedeutend musikalischeren Intendanten als die Hannoveraner hergesetzt haben. Ernst genug meint er es, und auch gesellschaftlich mag ich das Künstlerpaar gern, so daß wir uns oft sehen. Bronsarts bleiben wie wir den ganzen Sommer hier. Unser reizender Garten macht den Aufenthalt erträglich; ich wollte Sie sähen die beiden Schlingelchen drin herumwirthschaften. – Vor einigen Tagen war ich bei der Königin Marie auf der Marienburg; da ich leider allemal wenn sie mich bisher einladen ließ verhindert gewesen war <frug> hatte ich bei
den Gerüchten von ihrer bevorstehenden Abreise <> jetzt angefragt ob ich kommen durfte. Sie freut sich jedes Zeichens von Theilnahme, und war namentlich auch darüber ganz gerührt, daß ich Ihre Romanzen unter andern ihr lieben Stücken mit gebracht hatte. Ich mußte von Ihnen und allen Kindern viel und öfter erzählen. Die gütige, darin wirklich von Herzen edle Frau, findet sich ohne Rachegedanken in ihr Geschick, und beweint nur aus dem Land zu müssen und das Plätzchen aufzugeben, das sie mit aller Liebe bis in’s Kleinste ausschmücken ließ. Die Burg ist wirklich reizend, und sogar die Lage ohne großartig zu sein voll Schönheit. Sie würde Ihnen gefallen. Es ist noch immer unbestimmt wann sie fort muß – <> aber da der König so thöricht in seiner Politik und in seinem Hochmuth ist, wirds wohl bald undauf immer <und bald> sein müssen. Man hört traurige Dinge über sein Schalten in Wien. –
Werden Sie mir wohl bald ein paar Zeilen schenken? Ich und Ursi sind wenigstens mit den Gedanken oft um Sie und die Kinder, die wir von Herzen grüßen. Auch an Levi viel Schönes von mir, der ich in alter Liebe
und Verehrung bin
Ihr
Joseph J.

  Absender: Joachim, Joseph (773)
  Absendeort:
  Empfänger: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Empfangsort:
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 2
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Joseph Joachim und seiner Familie / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Klaus Martin Kopitz / Dohr / Erschienen: 2019
ISBN: 978-3-86846-013-1
928ff

  Standort/Quelle:*) D-DÜhh
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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