23.01.2024

Briefe



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ID: 17549
Geschrieben am: Sonntag 09.07.1893
 

Bendler Str. 17. d. 9ten Juli.

Liebe verehrte Frau Schumann!

Sie sind, denke ich, in dem schönen Schlangenbad, daß [sic] ich auf einem Ausflug von Wiesbaden entzückend fand, behaglich eingerichtet. Wenn nur die hier in der Schule recht fühlbare Hitze in dem Kesselthal nicht auch sich bemerkbar macht! Ich habe mich Ihres Gedenkens an meinem 63ten Geburtstage und Ihrer guten Wünsche für Herman sehr gefreut. Seine Wahl kann ich nur eine glückliche nennen; seine Ella5 ist ein mir auch sehr genehmes Schwiegertöchterchen. Ein stattliches, angenehmes Mädchen von noch nicht 19 Jahren, sehr einfach erzogen, mit geradem Verstand, wirthschaftlich, und die einzige Tochter wenn auch nicht reicher, doch wohlhabender Eltern, so daß man Sorge für das junge Paar nicht zu haben braucht. Ich kann ja, Gott sei Dank, auch etwas für ihre Zukunft thun. Ein wahres Glück, daß er wieder aktiv in der Armee ist, ein Zeichen daß man einsieht ihm sei von seinem Obersten ein Unrecht geschehen. Vor einem Jahr war ich sehr niedergedrückt durch sein Schicksal; nun hat sich’s gut gewendet. Auch an Johannes habe ich Freude erlebt, da erseinen Doctor mit Auszeichnung gemacht, und sich im Gelehrten-Beruf ganz glücklich fühlt. Spitta, Weinhold, Erich Schmidt, Herman Grimm, sie alle halten was von ihm, und so wird es ihm hoffentlich gelingen etwas tüchtiges zu leisten, da er es an Fleiß nicht fehlen läßt. Leider werde ich ihn im Herbst nach Göttingen ziehn lassen müssen, da er dort ungestörter arbeiten kann als hier, wo das Vaterhaus manche Zerstreuung bringt. Mein Paul ist nun auch Primaner seit Ostern, für seine 16 Jahre recht gut! Er ist schon so groß wie der Lieutenant. So könnt ich ja zufrieden sein, sähe ich nur die Mädchen nicht so selten –. Marie hat das Elberfelder Theater verlassen; aber noch keinen Wirkungskreis für den Winter, obwohl sie beim Gastspiel in München Glück hatte. Die Stimme hat seit vorigem Jahr sehr gewonnen und auch der Ausdruck ist inniger und lebendiger geworden; dabei lebt und webt sie im Dramatischen und fühlt sich glücklich im Beruf. Leider auch in der Wagnerei wie alle jungen Leute! Mir allerdings unbegreiflich, denn wenn ich mich auch manchem packenden Moment nicht entziehen kann, so wird’s mir bei dem redlichsten Willen den Wagner’schen Opern mehr abzugewinnen noch immer schwül bei dem Schwulst. Und ich weiß mich wirklich von Vorurtheil frei. Nun, Sie verstehn mich gewiß darin! Ich denke für meine rheumatischen Anwandlungen an Gastein. Noch bin ich nicht entschieden, werde Ihnen aber meine Pläne mittheilen sobald sie feststehen. Gar gerne suchte ich Sie und Wach’s in Interlaken auf. Sollte Ihnen in Schlangenband [sic] eine Miss Crum begegnen, so möchte ich für das feine, liebe aber schüchterne Mädchen ein warmes Wort einlegen. Sie ist auch sehr musikverständig, was freilich bei ihrem Geigenspiel ihrer großen Aengstlichkeit wegen nicht zur Erscheinung kommt. Dennoch ist sie mir ihrer Bescheidenheit wegen eine der liebsten Dilettantinnen, die mir vorgekommen <sind> ist. Ich glaube sie würde Frlein Marie gefallen. Grüßen Sie diese herzlichst von mir, und auch Eugenie wenn sie bei Ihnen ist.
In Verehrung und Treue
Ihr
Joseph Joachim

  Absender: Joachim, Joseph (773)
  Absendeort:
  Empfänger: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Empfangsort:
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 2
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Joseph Joachim und seiner Familie / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Klaus Martin Kopitz / Dohr / Erschienen: 2019
ISBN: 978-3-86846-013-1
1457ff

  Standort/Quelle:*) D-DÜhh
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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