Darmstadt. 11 Jan 1883
Hochgeehrte Frau Schumann!
Mit großem Vergnügen und herzlichem Danke nehmen wir Ihre freundliche Einladung für nächsten Sonntag an, es ist zu gütig von Ihnen, unserer in solch’ liebenswürdiger Weise zu gedenken.
Sie haben neulich, als Sie von der Biographie des verstorbenen Prinzen Consort v. England sprachen, Ihrer Bewunderung dieses seltnen Charakters einen so lebhaften Ausdruck |2| gegeben, daß mir sofort der Gedanke kam, ein kleines Andenken an denselben dürfte Ihnen nicht unwillkommen sein. Eines Tages hatte ich meinen unvergeßlichen Herrn an seinem Tische schreibend gefunden; als er geendigt, zeigte er mir das einliegende Blatt und sagte, er habe das Göthe’sche Gedicht wieder einmal gelesen und das habe ihn, wie immer, wieder mit solcher Freude erfüllt, daß er um sich recht damit zu beschäftigen, aus lauter Vergnügen es abgeschrieben habe. Diese Abschrift blieb seitdem in meinen Händen. Wenn es Ihnen Vergnügen |3| macht, das Blatt als Erinnerung an einen der edelsten Fürsten die je gelebt haben aufzubewahren, so ersuche ich Sie dasselbe von mir anzunehmen als ein Zeichen der aufrichtigsten und tiefsten Verehrung, die ich stets für Sie, hochgeschätzte Frau, empfunden habe, und mit der ich die Ehre habe zu verbleiben
Ihr ergebenster
DrBecker
|5| Wenn einen Menschen die Natur erhoben,
Ist es kein Wunder, wenn ihm viel gelingt;
Man muß in ihm die Macht des Schöpfers loben,
Die schwachen Thon zu solcher Ehre bringt:
Doch, wenn ein Mann von allen Lebensproben
Die sauerste besteht, sich selbst bezwingt,
Dann kann man ihn mit Freuden Andern zeigen,
Und sagen: das ist er, das ist sein eigen!
Denn alle Kraft dringt vorwärts in die Weite,
Zu leben und zu wirken hier und dort;
Dagegen engt und hemmt auf jeder Seite
Der Strom der Welt und reißt uns mit sich fort:
|6| In diesem innern Sturm und äußern Streite
Vernimmt der Geist ein schwer verstanden Wort:
Von der Gewalt, die alle Wesen bindet,
Befreit der Mensch sich, der sich überwindet. –
(Geheimnisse)
Göthe
|