Hamburg den 5ten Septbr 1856.
Liebe gute Frau Doctorinn!
Länger kann ich es nicht ertragen, muß Ihnen einige Worte schreiben, so schwer mir auch das Schreiben wird. Wie drängte es mich bei der Nachricht von Ihres Roberts Tod, zu Ihnen zu eilen, Ihnen die Hand zu drücken, zu Ihnen zu sagen „Armes, armes liebes Menschenkind![“] Ach ich konnte nicht! Ich war gerade im Seebade, habe nun seit 20 Wochen an den fürchterlichsten Rückenschmerzen gelitten, konnte keine Musik hören, nicht schreiben, jedes [sic] sitzende Beschäftigung machte mir so viel Pein. Leider ist es nicht besser geworden nach dem Seebade, noch immer wird mir das Schreiben schwer. Aber was schreibe ich denn von mir, ich will ja von Ihnen, zu Ihnen reden, ich muß so viel, viel an Sie denken! – Ach, daß ich weder schreiben noch zu Ihnen konnte, – mir blieb nur mein Heiligstes, mein Bestes, – mein Gebet zu Gott für Sie, o mit welcher Inbrunst betete ich, daß Gott Ihnen Kraft verleihen mögte. – Wie war ich so fest überzeugt, daß Brahms, daß Joachim bei Ihnen seyn würden, um Ihnen die Hand, das helfende, tiefbewegte Herz zu geben. – Ach es war viel schwerer, nicht zu Ihnen zu eilen, <als>und hierzubleiben! –
Armes, liebes Menschenkind! – Ach ich weiß Ihnen so wenig zu sagen, – kann Ihnen nur die Hand reichen, kann nur mit Ihnen weinen. –
Wir Alle haben ja an Ihrem Robert so viel verloren, welch |2| eine Lücke ist’s schon seit langer Zeit, – wie soll je diese Lücke ausgefüllt werden? – Aber Sie, Sie, der er so ganz und gar eigen eigen war, wie anders ist’s noch bei Ihnen? – Liebes, liebes Menschenkind! – Gottes Wege sind so wunderbar, daß es uns oft so unmöglich scheint, sie auch gut zu nennen. Haben Sie Nachsicht mit mir, ich kann Ihnen so wenig sagen, ach, ich mögte Ihnen so gerne helfen, weiß aber gar nichts, gar nichts als daß ich, daß wir Alle, meine Frau, ich, – so viel viel an Sie denken. – Und nun wird mein Robert seinen Gevatter nicht sehen können! – Aber Gott wird ihm den Sinn, das ächte wahre Herz öffnen, daß er einst an Musik erfahre, wer sein Gevatter war! –
Er war zu wunderbar! – Ehgestern hörte ich von einem jungen Mädchen ganz wunderschön Lieder von Ihrem Robert singen, da setzte ich mich still hin, musste fast weinen und dachte so recht an Sie! – Hei, Ihnen gehörte er, all seine wunderbaren Weisen gehören Ihnen ja so ganz und gar! – Bei aller Trauer, wie mag es Ihnen so stolz, so eigen seyn? – Armes, armes und doch beneidenswerthes Menschenkind! –
Haben Sie Nachsicht mit mir, das Schreiben wird mir so schwer! –
Sollten Sie es über sich gewinnen können, bitte dann schreiben Sie mir einmal ein Wort, von Ihnen von Ihrem Robert, von Ihren Kindern, – aber nur, wenn es Ihnen nicht schwer wird, ach ich mögte um Alles in der Welt willen Sie nicht quälen. –
|3| Grüßen Sie Brahms, wenn Sie ihn sehen, auch Joachim; – Wenn den beiden Menschen wie mir ist, da sehen Sie sie gewiß oft, ich würde nicht von Ihnen weichen. –
Ich weiß Brahms Addresse nicht, mögten Sie ihm einliegendes kleines Briefchen recht bald zusenden? –
Meine Frau grüßt Sie so viel, auch Grädeners, ach wer grüßte Sie jetzt nicht mit so eigenem herzenswachem Gruß.
Gott behüte Sie liebes Menschenkind!
Ihr
Th Avé Lallemant.