23.01.2024

Briefe



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ID: 18064
Geschrieben am: Mittwoch 28.08.1895
 

Kiel den 28. August 1895.
Hochverehrte Frau!
Nehmen Sie meinen wärmsten Dank für Ihre herzlichen Zeilen zum 16., den wir zum ersten Male nur in stillem wehmüthigem Gedanken an meine geliebte Mutter begehen konnten.
Es ist so wohlthuend für mich aus Ihren und aus so vielen andern Briefen alter und jüngerer Freunde zu entnehmen, wie geliebt und verehrt von Allen, die mit ihr in Berührung kamen, sie war. Was ich besonders verloren habe, das auszusprechen bedarf es keiner Worte. Mich erfüllt es mit dankbarem Troste, dß es mir vergönnt war, noch den letzten Tag mit ihr zubringen [u. die] Gewißheit mit mir nehmen zu dürfen, dß dadurch auch ihr letzter Lebenstag ein friedlicher, ruhiger und heiterer war. Ja, sie ist in wahrer kindlicher Heiterkeit u. Ruhe dem Tode entgegen gegangen. Gerade das machte den letzten Tag mit ihr zu einem so wehmuthsvoll-schönem. Wie oft überflog ein kindlich-sonniges Lächeln an jenem Tage ihre geliebten Züge! Von kleinen Zügen aus ihren letzten Stunden, die Sie gewiß ebenso rühren werden wie mich, möchte ich noch nachtragen, dß sie der Trine ausdrücklich aufgegeben hatte, ihre sorgfältig aufbewahrten grünen u. silbernen Brautkränze mit in den Sarg zu legen. Ihre letzten klaren Worte, ehe sie in den letzten traumverworrenen Schlaf fiel, waren die Verse des alten Volksliedes: „Soviel Sterne als da stehen, an dem fernen Himmelszelt, so viel Wolken als da gehen in die weite, weite Welt, soviel Mal seist du gegrüßt!“ – Alle Einzelheiten des Haushaltes behielt sie bis zum letzten Augenblick in ihrer Hand, war auch noch am Tage außer Bett u. wollte sich durchaus nicht davon abhalten lassen, bei unserem (Hedwig’s u. meinem) Mittagessen auf dem Sopha zugegen zu sein. Nun schlummert sie schon seit über 3 Wochen an der Seite des von ihr so sehr geliebten Mannes. Auch dafür hat sie den Beamten des Kirchhofes – nicht uns, das hätte nicht ihrem Wesen entsprochen – alle Weisungen ertheilt! –
Und nun, hochverehrte Frau, lassen Sie mich zum Schlusse die Bitte aussprechen, mich gelegentlich durch eine Ihrer Töchter von Ihrem Befinden u. Ergehen wissen zu lassen. Es würde mir sehr schmerzlich sein, wenn nun mit einem Male alle die engen Beziehungen, die Sie so lange Jahre mit den Eltern u. damit mit mir verknüpften, zerreißen sollten. In aufrichtiger Verehrung stets Ihr Felix Bendemann

  Absender: Bendemann, Felix (175)
  Absendeort: Kiel
  Empfänger: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Empfangsort:
  SBE: II.6, S. 529ff.

  Standort/Quelle:*) D-B, s: Mus. Nachl. K. Schumann 6,293
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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