23.01.2024

Briefe



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ID: 18098
Geschrieben am: Donnerstag 07.03.1889
 

Leipzig d. 7. März 1889.
Hoch verehrte Frau!
ich muß sehr auf Ihre gütige Nachsicht rechnen, daß ich Ihnen schreibe, denn Sie werden Sich schwerlich auf mich besinnen, den Mann der jüngs¬ten Carl Voigt’schen Tochter Liesa. Ich war heute Abend im Gewandhaus und hörte Sie das A-moll-Concert spielen – Grund genug, mit einem Herzen übervoll von seliger Freude und von Scham über die eigene Öde und Leere nach Hause zu gehen und zu schweigen. Aber ich soll morgen unverdient das Glück genießen bei meinem Schwager Freiesleben Ihnen persönlich zu begegnen – dann würde sich alles in mir drängen, Ihnen für reichste edelste Gaben von vielen Jahren her zu danken, ohne daß ich nur ein einziges verlegenes Wort herausbrächte; darum bitte erlauben Sie mir in Ihrer |2| großen Güte, daß ich es brieflich thue. Wieviele ausgezeichne¬te Meister der verschiedensten Instrumente habe ich gehört, aber wie selten wird man den Eindruck los, ihr Spiel, so glänzend es ist, sei eine Waare, dem Publicum auf dem Markte verlockend feilgeboten. Und wenn das am grünen Holze geschieht, was will am dürren werden, nämlich an uns Hö¬rern, den Nichtkünstlern? Ihr herrlicher Gatte schreibt einmal, nachdem er aufgezählt was alles dazugehöre, ehe ein reiner voller Kunsteindruck zu stande komme: ob das nicht ein Sechs-Pasch mit sechs Würfeln zugleich wäre? Sie haben es empfunden, hochverehrte Frau, wie dieses Mal, an diesem Abende, der große Wurf gelungen ist, wie jeder letzte Mann im Orchester mit Ehrfurcht und Andacht Sie begleitete, wie hier keine Rede mehr war von Geben und Nehmen: nein, das |3| Concerthaus erhöh¬te sich zum Tempel, die Krämer und Wechsler waren daraus vertrieben und wir Alle, wir Ungeweihten, wunderbar gereinigt und über uns selber erhoben, wussten nicht wohin mit unserm heißen Danke für Ihre priester¬liche Führung. Freilich, hochverehrte Frau, Sie können nicht fragen nach meinem oder irgend jemandes armem Dank – niemand thut es, den „das ewige Feuer, der Ursprung der Liebe“ entzündet hat, und wir Andern können darum nur in kindlichem Staunen sagen:
Wohl euch, ihr auserwählten Seelen, die Gott zur Wohnung ausersehn!
Ich weiß, es ist schief und schlecht was ich hier rede. Aber ich schäme mich trotzdem nicht. Denn es ist einmal nur sehr Wenigen gegeben das Beste und Beglückendste auszusprechen, was in ihnen wohnt – oder was wie heut Abend einmal in ihnen Herberge hält.
|4| Haben Sie Dank für Ihre Geduld, hochzuverehrende Frau, daß Sie mich angehört haben, und vergessen Sie den Schreiber und sein Schreiben, nehmen Sie es nur als einen Wiederschein Ihres gottbegnadeten Wirkens!
In zeitlebens dankbarer Verehrung
Ihr ergebener
JEBöttcher

  Absender: Böttcher, Johannes Eduard (243)
  Absendeort: Leipzig
  Empfänger: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
Empfangsort: Leipzig
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 15
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit den Familien Voigt, Preußer, Herzogenberg und anderen Korrespondenten in Leipzig / Editionsleitung: Thomas Synofzik, Michael Heinemann / Herausgeber: Annegret Rosenmüller, Ekaterina Smyka / Köln: Verlag Dohr / Erschienen: 2016
ISBN: 978-3-86846-026-1
203ff.

  Standort/Quelle:*) D-B, s: Mus. Nachl. K. Schumann 5,190
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 

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