23.01.2024

Briefe



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ID: 18250
Geschrieben am: Samstag 24.09.1864
 

Monrepos, d. 24. Sep. 64
Meine liebe Frau Schumann!
Schon über einen Monat bin ich im Besitz Ihres lieben Briefes, u noch immer habe ich Ihnen nicht dafür gedankt! Ich bin wahrhaft erschrocken, als ich eben den Datum sah, u die Länge der Zeit entdeckte[.] Sie werden es mir aber gewiß nicht übel nehmen, wenn ich Ihnen sage, daß wir zuerst kurze Zeit abwesend waren u seit unsrer Rückkehr täglich mehrere Stunden in Neu Wied sind, weil ein alter Großonkel von mir sterbend ist. Also komme ich nur augenblicksweise an meinen Schreibtisch. – Als ich Ihren lieben Brief erhielt, jubelte ich laut u vertiefte mich recht in alle Ihre lieben Worte, besonders in dasjenige, das uns Ihren Besuch verspricht! Als ich mit dieser Nachricht zu Mama hereintrat, rief sie mir entgegen: „Sie ist ein Engel!!“ denn indem Sie diesen Plan ausführen, wird Mama endlich der Wunsch erfüllt, Sie kennen zu lernen. Im Grunde sind Sie ihr schon längst keine Fremde; unsre gemeinschaftlichen lieben Freunde u ich haben ihr soviel von Ihnen erzählt, daß sie nur noch bedarf, Sie von Angesicht zu sehen. Ich glaube, Sie werden sich gegenseitig sehr gut verstehen.
Was Sie von dem sagen, was man im Leben u Treiben bei Hofe empfindet, finde ich so wahr; ich glaube es gehört ein besonders starker Geist dazu, [um] nicht am inwendigen Menschen Schaden zu nehmen. Seitdem ich hier bin, bin ich wieder ganz anders. Neulich besuchte uns Fräulein Gulden, die auch ein ganz anderes Wesen war, als in Petersburg, frisch, heiter, angeregt, sogar gesund; u die war auch über mich ganz erstaunt u behauptete sie kenne mich nun erst. Sie müssen mich recht verstehen. Ich meine daß es ein Glück war für mein ganzes Leben, an der Seite von solchen Menschen die Welt kennen zu lernen, u die Liebe u Güte, die ich im palais Michel erfahren, ist mir tief ins Herz geschrieben. Aber daheim ist es gar lieb, u das Herz geht einem auf im Sonnenschein! Ich habe nie gedacht, daß ich einmal in meinem Leben so glücklich sein würde, wie jetzt; ich bin auch dankbar für jeden Tag. Wenn Sie herkommen, hoffe ich daß Ihnen unser Häuschen gefallen wird. Wir haben uns klein u eng beisammen genestelt, da wir ja nur zu zweien sind. Große Räume brauchen wir nicht – wir haben ja den ganzen, weiten Wald! Einmal haben wir vor vielen Jahren dem Cölner Männergesangverein hier im Wald ein diner gegeben, u die Reden u Lieder waren begeisterungsvoll u unvergeßlich. – Haben Sie tausend Dank für die Namen der Stücke, ich werde sie nach u nach einstudiren. Jetzt bin [ich] an eine wunderschöne Sonate von Beethoven gekommen – aber mein Spiel macht mir wenig Freude. Die Menschen sagen, ich hätte Fortschritte gemacht; das ist mir aber einerlei. Seitdem mein Vater todt ist, der durch u durch ein Künstler war, macht mich die Musik furchtbar melancholisch. Und dann hat es noch andere Gründe. Von meiner frühsten Kindheit hatte ich eine krankhafte Leidenschaft dafür, u bildete mir ein, ich müßte durchaus wie eine Künstlerin spielen lernen. O wie viel heiße Thränen hat es mich gekostet! Endlich, diesen Winter, habe ich nach hartem Kampf eingesehen, daß es nicht geht u daß ich es nie zu etwas bringen werde. Also sollte das überwunden u vorbei sein; aber wenn ich übe, kommt doch noch immer der alte Ehrgeiz über mich u dann werde ich verstimmt u melancholisch und darum kann ich nicht spielen. Wer das nicht weiß, der wird auch nie begreifen, was da in mir vorgeht, aber Sie können mir glauben, es ist ein schweres Opfer, u oft möchte ich bitter darüber klagen, daß mir der Himmel diesen Wunsch nicht erfüllt hat. Vielleicht wäre ich für alles Andere untüchtig geworden, denn zu etwas muß es wohl gut sein.
Was werden Sie denken, daß ich anfange, Ihnen über Dinge vorzuklagen, die überwunden u vorbei sein sollten?! – Mit der Zeit wird man über alles ruhig; aber daß [man] jemals aufhörte zu trauern, das ist nicht wahr. Es bleibt von allem ein Stachel zurück, wie wir es uns auch in Petersburg zuweilen gesagt haben. –
Der Knabe, von dem ich Ihnen schrieb, ist ein kleiner Amerikaner, ein Freund von meinem verstorbenen Bruder, ein wirklich prächtiger Junge von 13 Jahren, voller Anlagen u Talente. Er wird nicht Musiker werden, aber er hat ein Gefühl für Musik, wie ich es selten gesehen habe.
Daß Sie Baden so gern haben, freut mich sehr; ich war nie gern dort; es war mir immer zu eng. Aber einige sehr liebe Menschen habe ich dort kennen gelernt, u. a. Herrn u Frau von Geusau. Prinzeß Anna von Hessen habe ich einige Mal gesehen, nicht genug, um ein Urtheil über sie zu haben. Hätte ich damals gewußt daß sie musikalisch ist, wären wir vielleicht schneller bekannt geworden; denn wenn ich von Musik sprechen kann, bin ich froh.
Hätte ich mit Ihnen auf dem Rigi sein können, welch’ ein Genuß! Ich finde den Rigi so herrlich, so majestätisch u erhaben über all’ das kleine Erdengewimmel. Es ist eine rechte Verwöhnung, auf einem hohen Berg zu leben, das fühle ich wohl; lange halte ich es auch nie aus im Thal unter Menschen.
Es wäre zu lieb, wenn Sie uns hier besuchten! Ich halte auch ganz daran fest; denn es wäre eine unbeschreibliche Freude! Ich sage also nur Auf Wiedersehen, meine liebe Frau Schumann! Tausend Grüße Ihrer Tochter!
In herzlicher Dankbarkeit
Ihre
Elisabeth Wied

  Absender: Elisabeth (Pseudonym: Carmen Sylva), Prinzessin zu Wied (418)
  Absendeort: Monrepos
  Empfänger: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Empfangsort:
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 12
Briefwechsel Clara Schumanns mit Landgräfin Anna von Hessen, Marie von Oriola und anderen Angehörigen deutscher Adelshäuser / Editionsleitung: Thomas Synofzik, Michael Heinemann / Herausgeber: Annegret Rosenmüller / Köln: Verlag Dohr / Erschienen: 2015
ISBN: 978-3-86846-023-0
331-334

  Standort/Quelle:*) D-B, s: Mus. Nachl. K. Schumann 2,121
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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