Utrecht 22 April 1876
Hochverehrte, liebe Frau Schumann!
Endlich, endlich bin ich so glücklich Ihnen die seit Wochen erwartete Ankunft eines kleinen Engelmenschen mittheilen zu können! Dießmal hat sich der Spruch erprobt: was lange währt wird gut. Denn wirklich Alles ist so gut gegangen u. geht so gut als nur möglich ist.
Bis gestern Mittag war Emma ganz munter und wie immer im Hause thätig. Gegen 5 Uhr legte sie sich und 3/4 7 Uhr schon war ein gesundes, kräftiges Töchterchen da, ohne daß irgend welche Kunsthilfe nöthig gewesen wäre. Infolge dieses glücklichen Verlaufes fühlt sich auch Emma |2| sehr wohl, so, daß sie heute schon über etwas Langeweile im Bett klagte. Wie froh dürfen wir sein, daß dieser Stein vom Herzen ist. Es ist wie der Anfang eines neuen schöneren Lebens! – Die Kleine – eigentlich müßte ich sagen die Große, denn sie wiegt 8 1/2 Pf – hat Nichts von ihrem Schwesterchen außer den allgemeinen Eigenschaften gesunder Menschenkinder des ersten Tages. Einen Kopf voll dichten schwarzen Haares, runde rothe Hängebacken, kräftige Lungen und großen Durst hat sie mit zur Welt gebracht. Ihr Betragen ist bisher musterhaft. Sie läßt der Mama die nöthige Ruhe zum Schlaf, von der diese denn auch – unterstützt von angeborenem Talente – reichlich Gebrauch macht. Und so beschränkt sich vorläufig unsere ganze Sorge nur auf Erhaltung des bestehenden Glückes durch ruhige Pflege, und ich darf hoffen Ihnen nach einigen Tagen volle Gewißheit eines endgül-|3|tig guten Ablaufes zu geben!
Und nun komme ich zum zweiten Theil meines Briefes, den ich eigentlich ohne den ersten schon längst hätte abschicken sollen, wenn nicht die Erwartung mich gehemmt hätte. Wie viel habe ich Ihnen – aus meinem, Emmas, unser aller hier Namen – zu danken! Was schulden wir Ihnen dafür daß Sie gekommen sind, wie glücklich haben Sie uns gemacht! Möge Ihnen das eine kleine Entschädigung für die vielerlei Unannehmlichkeiten und Störungen sein, die Ihren Utrechter Aufenthalt leider begleitet haben. Wir leben und freuen uns noch täglich in der Erinnerung Ihres Besuches, und freuen uns wieder zu erfahren, wie auch in weiteren Kreisen Ihre Anwesenheit tiefe, wohlthätige Spuren hinterlassen hat. Wenigen ist gegeben, auch der Menge einzuflößen, was ihr so Noth thut, Empfindung des Ächten, Wahren in der Kunst und damit Ehrfurcht vor der Kunst, statt bloßer sinnlicher Neigung, bei der ja die Menge fast immer stehen bleibt. |4| So wird Ihr Besuch noch lange, hoffen wir, seine segensreichen Nachwirkungen ausüben.
Aber nun komme ich zu einem dritten Punkt, dessentwegen ich wohl etwas böse auf Sie sein sollte! Welch fürstliches Geschenk haben Sie Emma aus Brüssel gesandt! Das ist ja viel zu schön für eine kleine Professorenfrau und geradezu beschämend für uns, die wir Ihnen ohnehin so sehr viel zu danken haben. Nun häufen Sie unsere Schuld noch auf solche Weise! Gut wenigstens, daß Emma sich nun auf Schritt und Tritt Ihrer erinnern muß, wenn sie, wie ich hoffe bald, in Ihrem Prachtgeschenk umherwandelt. Daß Sie ihren Geschmack getroffen u. zugleich den <> praktischen Bedürfnissen so liebevoll und warm Rechnung getragen, dafür hat Emma selbst Ihnen wohl schon gedankt! Aber dennoch!! –
Und damit nehme ich für heute Abschied! Ich sende diesen Brief nach Berlin, wo Sie vermuthlich bereits wieder eingetroffen sind. Hoffentlich ist Ihnen in England8 Alles nach Herzenswunsch ergangen u. haben Sie auch zu Haus Alles so gefunden!
Grüßen Sie Ihre Frl. Töchter herzlich und bleiben Sie freundlich gewogen
Ihrem
Th. W. Engelmann.
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