Utrecht, den 12/2 78.
Verehrte, liebe Frau Schumann!
Sie ließen mich neulich in Ihrem Brief an Brahms so freundlich grüßen und zur Vorsicht und Schonung ermahnen. Da will ich Sie heute beruhigen und Ihnen sagen, daß ich mir zwar viel zugemuthet habe, da ich mir den Genuß, die d-dur Symphonie zu hören, nicht entgehen lassen wollte und deshalb am 8ten mit meinem Mann nach Amsterdam reiste. Dieser Ausflug ist mir aber herrlich bekommen, obgleich ich nach der Musik, die mich schon sehr erregt hatte, noch bis ein Uhr geschwärmt |2| habe. Das Wochenbett ist diesmal auch so glücklich vorübergegangen, daß ich mich schneller als sonst erholt habe und bald wieder die Treppen hinunterwagen kann. Ich war um so glücklicher darüber, da ich doch von dem Besuch unseres vielverehrten Gastes mitgenießen konnte, wenn ich auch leider das hiesige Concert, die Aufführung der C-moll, entbehren mußte. Die Tage, die er uns schenkte, waren herrlich! Wie viel Schönes habe ich von Ihm gehört, wie viel Interessantes hat er uns erzählt u. mitgetheilt. Es wird eine unvergeßliche Zeit für uns bleiben. Das Concertpublikum u. vor Allem die Musiker waren natürlich ganz begeistert. Den Holländern ist Brahms nicht mehr fremd, und sie können ihrer Begeisterung besser Ausdruck geben, |3| als man es im Allgemeinen in Deutschland gewohnt ist. Reizend war es aber, Verhulst zu beobachten und in Verkehr mit B. zu sehen. Bei der ersten Probe der d-dur soll er ja wie ein Kind geweint haben; und in Felix meritis, wo wir zur Probe u. Aufführung waren, lief er in seiner Glückseligkeit während der Symphonie auf eine fremde Dame zu, drückte ihr die Hände mit den Worten: Vergessen Sie doch nie das Glück, diese Musik zu hören. Man sah ihm aber auch an, wie lieb er Brahms hat; eine Braut könnte nicht inniger u. zärtlicher sein, als Verhulst es mit ihm war, und in seinen Worten war er immer so warm und sich selbstvergessend, daß man merkte, wie gern er sich vor solchem Meister demüthigte und beugte. Es hatte |4| wirklich etwas Rührendes. Er wußte sein Entzücken gar nicht genug zu erkennen zu geben. – Soll ich von mir reden, so werden Sie am besten begreifen, was ich empfand, als ich zum ersten Mal nach langer Zeit wieder Musik hören konnte u. dazu diese himmlischen Klänge der d-dur, die Einem mit den ersten Tacten in’s Herz dringen. Der Eindruck, den ich davon bekommen, läßt sich nicht mit Worten beschreiben, von solchen Tönen empfangen zu werden, zumal nach langer Entbehrung und schweren Tagen wer sollte da nicht von solchem Genuß überwältigt sein! Ich kann Ihnen das Glück, das mich ganz mit Dank erfüllte, nicht beschreiben; und darum konnte ich auch Brahms so wenig sagen, weil ich so sehr davon ergriffen war. |5| Wie leid that es mir u. Allen, daß Sie, liebe Frau Schumann, nicht an dem Abend dort waren. Sie würden auch Ihre Freude daran gehabt haben und wie herrlich, wenn Sie u. B. allein das Concert ausgefüllt hätten. Einem solchem Geist gegenüber passen doch nicht Frl. Krebs u. Meysenheim. Erstere spielte dazu das G-dur Concert auf eine herzzerreißende, empörende Weise; überhaupt finde ich ihre ganze Spielart unerquicklich. Doch darüber nichts weiter. Verhulst sprach in einem Toast aber auch sein Bedauern aus, daß Sie nicht zu diesem Concert gekommen seien, fügte aber hinzu, das würde wohl zu viel des Glückes gewesen sein. Wie schade u. traurig für uns, daß Sie es nicht möglichmachen konnten! Nach dem Concert |6| waren wir noch sehr vergnügt beisammen, auch Röntgen aus Leipzig und am folgenden Tag ist B. leider, ohne Abschied zu nehmen, von dannen gereist. Wir hatten eigentlich noch gehofft, ihn bei uns zu sehen aber dieser Wunsch war zu unbescheiden. Ich begreife überhaupt nicht, daß er’s hier so lange ausgehalten hat; wir konnten ihm ja nichts bieten, u. er opferte sich uns mit solcher Liebenswürdigkeit. Ich ärgere mich, daß ich nicht einmal eine ordentliche Hausfrau sein konnte, da ich mich anfangs bei seinem Hiersein um nichts bekümmern durfte u. mich still auf dem Stuhl verhalten mußte. Das war mir schrecklich! Nun habe ich ein ganz unbefriedigtes Gefühl über mich selbst, u. jetzt wo ich’s wieder gut machen könnte, ist er weg!
Mit tausend Grüßen
Ihre
Emma E.