Utrecht 11 Sept. 1895
Hochverehrte liebe Frau Schumann!
Die Hoffnung, Sie diesen Sommer zu sehen oder gar Ihnen unsere Geburtstagswünsche in Interlaken persönlich zu bringen, hat sich leider nicht erfüllen lassen. Wir waren diesmal zu weit östlich verschlagen und mußten zu früh wieder nordwärts wandern. So haben wir die Schweiz überhaupt nicht berühren können, um so mehr aber Ihrer gedacht, – für uns und mit guten Bekannten, die ein freundlicher Stern an unserem |2| abgelegenen Sommerquartier – Barmsee – vorbeiführte, wie Laroches aus Basel, Grüters aus Frankfurt u. a. Zuletzt hatte ich noch einige schöne Tage in Berchtesgaden bei Frau Anna Franz und in Ischl bei Brahms, den ich frischer und heiterer wie je fand. Er gab sich recht aus dem Vollen, als der große und gute Mensch und Künstler, den man verehren und lieben muß. Wer kann dem Eindruck dieser mächtigen Persönlichkeit sich entziehen? Mir waren die Stunden mit ihm eine wahre Erquickung. Wenn ich Eins bedaure, so ist es, daß ich die Ueberzeugung mitnehmen mußte, daß |3| er die Zeit gekommen glaubt, wo dem Schaffen Einhalt gethan werden muß. Ich hoffe, er täuscht sich über seine Kraft, kann mir auch schwer vorstellen, daß bei dieser körperlichen und geistigen Gesundheitsfülle der Drang und die Fähigkeit zu künstlerisch schöpferischer Thätigkeit schon erlöschen sollte. Wenn er aufhört, auf was soll man sich denn dann noch freuen? Wo ist der Erbe seiner Größe? Ich fürchte er liegt noch nicht einmal in irgend einer Wiege und unsere Kinder werden ihn nicht erleben. Inzwischen – freuen wir uns des herrlichen Besitzes und der unerschöpflichen Quellen edelster Kunstfreunde die uns aus |4| Werken der großen Meister zuströmen. Die Natur darf wohl einmal in der Produktion eine Pause machen! Sie hat in der Periode von Bach bis Brahms ihre Schuldigkeit gethan und uns wohl gar zu anspruchsvoll gemacht. – Unsere hiesigen Musikzustände haben durch den Tod unseres vortrefflichen Riemsdyk einen schweren Schlag erlitten. Für unseren engeren Kreis ist der Verlust unersetzlich. Mir war er der nächste Freund seit Donders Tode und für Emma der treueste und sympathischste musikalische Genosse. Wie war er auch Ihnen zu gethan!
Emma kommt morgen aus Mecklenburg zurück, wo sie 8 Tage bei den alten, aber immer noch sehr frischen Eltern war. Wir werden Ihrer und der Ihrigen am 13ten herzlichst gedenken. Wie gern wären wir dann bei Ihnen! Von Herzen Ihr treu ergebener
ThW Engelmann
Unser künftiger Schwiegersohn, ein vorzüglicher, sehr lieber Mensch, ist leider keine musikalische Kraft, freut sich aber sehr der Fortschritte seiner Braut.
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