Utrecht 18. 3. 90
Liebe, verehrte Frau Schumann!
Herzlichen Dank, auch aus Emmas Namen, für Ihre und der Ihren Theilnahme! Die Verstorbene war es werth, daß nicht bloß ihre Kinder – die nun ganz verwaisten – um sie trauern. Sie war eine außergewöhnlich reiche Natur, alles vom Besten – nur die Lungen waren zu kurz gekommen. |2| Die Kinder werden wohl bei meiner Mutter und Schwester bleiben, die nun schon zum dritten Male in dieser traurigen Weise Ersatz erhält für ein Glück, das ihr selbst versagt blieb! – Ja, dieser Winter war kein froher. Es wurde einmal wieder große Ernte gehalten! Zwei meiner vortrefflichen Collegen verlor ich und bin selbst seit Mitte December durch dreimalige Influenza unfehig gewesen m. Vorlesungen zu halten. Jetzt hoffe ich auf diese Woche als letzte. Zu unserm größten Bedauern hören wir, daß auch Sie so heftig ergriffen wurden. Schon Herr Heermann und später Frau Uzielli berichteten |3| davon. Es ist aber wohl ein Beweis für die Vortrefflichkeit Ihrer Natur, daß Sie so kräftig Widerstand bieten konnten.
Werden Sie denn noch nach England gehen? Wir hatten die stille Hoffnung, es möchte Ihr Weg dann vielleicht Utrecht berühren. Wie groß würde unsere Freude sein! Wir können es Ihnen jetzt so viel behaglicher einrichten als früher – keine steilen, feuergefährlichen Treppen, keine kleinen niedrigen Zimmer, gute Oefen und noch so manches Andere! Vielleicht besuchen Sie diesen Sommer die Ihrigen in Domburg. Wenn wir da nun recht bäten?!
Heute Abend erwarten wir Frau v. Beckerath aus Rüdes-|4|heim auf 14 Tage bis 3 Wochen, was mich besonders für Emma sehr freut. Sehr Leid that es uns daß Brahms diesmal Utrecht nicht berühren konnte, wo er nun so lange schon nicht mehr war. Ich höre, man beabsichtigt, für den folgenden Winter eine große Brahmscampagne in Holland vorzubereiten. Wenn er dazu eine neue Symphonie oder ein neues größeres Chorwerk mitbrächte!
Emma, die recht wohl ist und in letzter Zeit auch am Clavier recht fleißig war – sie hat die Davidsbündler u. a. wieder einmal gut vorgenommen – sendet Ihnen die herzlichsten Grüße, die wir auch Ihren Frl. Töchtern freundlichst auszusprechen bitten.
In treuer Verehrung allezeit
Ihr ThW Engelmann.
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