München d. 1 April 95.
Hochverehrte Frau!
Wir sind ganz außer uns, aber wißen uns nicht zu helfen; ich mußte mich Anfang der vorigen Woche mit einem leichten Influenzaanfall zu Bett legen, hatte mich aber doch so weit erholt, daß wir bestimmt hofften, uns Ihrer Anwesenheit hier recht erfreuen zu können. Seit |2| gestern fühlte sich Mary etwas katarrhalisch und wenn wir schon besorgt wurden, so dachten wir doch noch an nichts Schlimmes. Nachdem Mary nun aber eine recht schlechte Nacht gehabt hat, erklärt der Arzt, daß sie unbedingt im Bett bleiben müßte und daß sie eben auch von der Influenza angesteckt sei. Ich kann Ihnen nicht sagen, wie sehr wir außer uns sind; Mary war den ganzen Winter über besonders |3| wohl und nun gerade, wo uns diese Freude bevorstand, wird sie krank und nun müßen wir auf das, wonach wir uns schon so lange gesehnt hatten, verzichten. Es ist uns auch so leid, daß Sie die ganze Unruhe der Reisevorbereitungen umsonst gehabt haben. Wenn wir hoffen könnten, daß aufgeschoben nicht aufgehoben ist; aber ich weiß, wie sehr Ihre Zeit in Anspruch genommen ist und zunächst dürften wir es ja |4| nicht einmal wagen, Sie in unserem Hause auch nur der Möglichkeit einer Ansteckung auszusetzen. Lange hatten wir uns auf nichts so gefreut, wie auf Ihren Besuch, auf ein behagliches Zusammensein nach so langer Zeit und nun dieser Zwischenfall! Mary grüßt Sie sehr traurigen Herzens. Ich schreibe Ihnen wieder, wie es Mary geht.
Mit Tausend Grüßen Ihnen und Ihrer Fraeulein Tochter
Ihr
von Herzen ergebener
Conrad Fiedler.
Ich lege einen Brief bei, der für Fraeulein Marie angekommen ist.
|